Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
Der “Kulturpass” – die Antwort auf eine lange Tradition einer angebotsorientierten Kulturpolitik?
Über viele Jahre sah es staatliche Kulturpolitik als ihre zentrale Aufgabe, entlang mehr oder weniger nachvollziehbarer Qualitätskriterien das künstlerische Schaffen zu fördern und damit Maßstäbe zur Unterscheidbarkeit von förderungswürdiger und nicht förderungswürdiger Kunst zu setzen.
In einer Zeit, in der – kontextabhängig – alles Kunst sein kann, ist diese staatliche Aufgabe an ihr Ende gekommen. An ihre Stelle ist der Markt getreten, der entlang des Geldwertes zur entscheidenden Instanz geworden ist, um zwischen guter und schlechter Kunst zu unterscheiden.
Also versucht staatliche Kulturpolitik sich verstärkt der Nachfrageseite zuzuwenden. Schon seit mehreren Jahren setzt sie neue Akzente zugunsten von Bildungs- und Vermittlungsprogramme des Kulturbetriebs, in der Hoffnung, damit neue, bislang vernachlässigte Zielgruppen ansprechen zu können. Und in der Erwartung, damit spezifische kulturpolitische Ziele (Kreativität, sozialer Zusammenhalt,….) erreichen zu können.
Mit der Einführung des “Kulturpasses” geht sie nochmals einen Schritt weiter: Vor allem junge Menschen sind eingeladen, sich frei nach ihren Vorlieben am Kulturmarkt zu bedienen, in der Hoffnung, damit die Nachfrageseite zu stärken.
Die mitschwingende Hoffnungen: Die Begünstigten werden mit einem Startkapital als Konsument*innen am Kulturmarkt eingeführt und erhalten das notwendige Knowhow, um sich darin zurecht zu finden. Auf diese Weise trägt der “Kulturpass” zur Emanzipation mündiger Kulturnutzer*innen bei, die keiner staatlichen oder sonstigen kulturellen Bevormundung in Sachen Qualität mehr bedürfen. Dagegen erhalten die Kulturanbieter vermehrt Feedback von der Nachfrageseite: “Gute” Angebote werden verstärkt nachgefragt (und damit zumindest staatlich alimentiert), “schlechte” hingegen haben werden es in Zukunft noch schwerer haben.
In den Niederlanden wurde der Kulturpass in Form von “Vouchers” für Schüler*innen bereits in den 1990er Jahren eingeführt; begleitet war diese kulturpolitische Innovation von einer breiten Diskussion um Vor- und Nachteile für alle Akteursgruppen im Kulturbetrieb.
Deutschland führt das Programm jetzt gerade ein und verhandelt über das Für und Wider: https://www.sueddeutsche.de/kultur/kulturpass-200-euro-18-jaehrige-2023-risiko-1.5879263?reduced=true
In Österreich verweigert staatliche Kulturpolitik – die sich gerade von einer affirmativen Studie zur “Kulturellen Beteiligung” hat bestätigen lassen, dass ohnehin alles in Ordnung ist – konsequent die Wahrnehmgung der dramatischen Veränderungen des kulturellen Verhaltens: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230505_OTS0110/bmkoes-veroeffentlicht-umfassende-studie-zum-besucherinnen-verhalten-in-kunst-und-kultur
Die Einführung eines “Kulturpasses” im “Kulturland” steht nicht auf der Tagesordnung