Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
Der Staat als Verteidiger von Leitkultur, nein danke.
Über “Leitkultur” als wahlpolitische Rohrkrepierer einer zunehmend verzweifelten ÖVP ist viel diskutiert worden:
https://www.spiegel.de/ausland/oesterreich-nehammers-leitkultur-kampagne-wird-zum-rohrkrepierer-a-9c462608-dc4c-420d-add6-451e72277815
Ausgeklammert aber blieb in der Regel die Frage, inwieweit dem
Staat (und sei es in Form der ihn tragenden politischen Parteien) noch einmal das Recht zukommen soll, eine kulturelle Definitionsmacht auszuüben.
Dabei sind die Zeiten noch nicht so lange her, dass der Staat für sich beansprucht hat, darüber zu verfügen, was für seine Bürger*innen als kulturell wertvoll anzusehen ist und was als schädlich. Noch in den 1960er Jahren wirksame Gesetze gegen “Schmutz und Schund” sollten sicherstellen, dass ausländische Einflüsse wie der amerikanische Film, Comics oder Jazz-Musik die österreichische Jugend beschädigen. Die Verankerung der Freiheit der Kunst ist eine Errungenschaft, die erst 1982 – übrigens gegen den Widerstand der konservativen Kräfte – möglich wurde.
Heute sind es die kulturellen Einflüsse der Migrant*innen, die staatlicherseits außen vor gehalten werden sollen. Um damit das Ende einer Phase der Liberalität einzuläuten, in der Menschen frei darüber verfügen konnten, was ihnen kulturell wichtig erscheint. Und was nicht.
Die kulturpolitischen Entwicklungen in benachbarten illiberal verfassten Ländern sollten uns sicher machen, dass nicht nur die Trennung von Kirche und Staat sondern auch die von Kultur und Staat eine verteidigungswerte Errungenschaft darstellt. Dass auch Vertreter*innen die Ansicht vertreten, eine Leitkultur sollte sich auf die Verteidigung der Menschenrechte beschränken, sollte uns sicher machen: https://www.katholisch.at/aktuelles/147861/zulehner-menschenrechte-stehen-ueber-einer-leitkultur