Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
Die Geschichte wiederholt sich nicht – und doch: Zur Präsentation des Buches “Maskeraden – Eine Kulturgeschichte des Austrofaschismus” von Alfred Pfoser, Béla Rásky und Hermann Schlösser
Das Auditorium des Wien Museums war bis auf den letzten Platz gefüllt, gefühlt ganz Wien wollte sein Interesse an diesen kurzen Abschnitt der österreichischen Geschicht 1933 – 1938 bekunden.
Soviel vorweg: Da haben drei Kenner der österreichischen Kulturgeschichte eine faszinierende Innensicht des politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens vorgelegt und damit Geschichte unmittelbar erfahrbar gemacht. In insgesamt 57 Kapitel beleuchten sie eine Vielzahl von Einzelheiten, die den Kulturbetrieb entlang des führenden Personals ebenso betreffen wie die konkreten Lebensverhältnisse innerhalb und außerhalb der Hautevolee. In der Zusammenschau verdichten sie sich zu einem Gesamteindruck , der die Zeit in ihrer Vielschichtigkeit besser charakterisiert als so manche theoretische Studie.
Woher aber kommt das große öffentliche Interesse an einen gescheiterten politischen Projekt, das mit dem sogenannten “Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich” der Übermacht nationalsozialistischer Übermächtigung nicht standgehalten hat?
Eine traditionelle Interpretation liefe darauf hinaus, dass sich an der Interpretation dieses Herrschaftssystems bis heute die Demarkationslinien zwischen rechts und links festmachen lassen, wenn die Linke die Zerstörung der Demokratie samt Bürgerkrieg und der Etablierung einer autoritär ständischen Verfassung ins Treffen führen, während die Rechte auf den heldenhaften Kampf für die Eigenständigkeit Österreichs gegen Hitler-Deutschland besteht.
Vieles spricht dafür, dass diese Gegensatz noch manch versprengten Resten der jeweiligen Parteibasis Identität verleiht; die Führungseliten hingegen erscheinen längst weitgehend “entideologisiert”, ja haben in ihrem verzweifelten Kampf um unbedingten Machterhalt im Hier und Jetzt gar keine Beziehung mehr zu dem, was doch ihre Parteigeschichte ausmacht.
Meine Vermutung über die Betroffenheit der Besucher*innen geht hingegen in die Richtung, dass viele spüren, dass die gegenwärtige politische Lage den damaligen Verhältnissen wesentlich mehr ähnelt als uns lieb sein kann:
Wieder ist da eine konservative Partei, die um fast jeden Preis um ihr Überleben ringt. Sie hat es dabei wieder mit dem (Wieder-)aufstieg rechtsradikaler Tendenzen zu tun, während sich – so scheint es – die Sozialdemokratie selbst aus dem Spiel genommen hat.
Die neue “Maskerade” besteht nun darin, nach außen vehement gegen die Führungsriege der FPÖ aufzutreten und zugleich ihre wesentlichen politischen Losungen zu übernehmen “Über-Kickln”). Dahinter aber werden alle Kanäle offen gehalten (FPÖ-Regierungsbeteiligung in Oberösterreich, Salzburg und Niederösterreich), um – und sei es als Steigbügelhalter für die illiberal-autoritären Wahlgewinner – an der Macht zu bleiben.
In diesem Sinn zeigt uns die austrofaschistische Phase, dass die Konservativen schon einmal bereit waren, demokratische Errungenschaften zu opfern, wenn sie sich damit an der Macht halten können. Und dass die Zukunft der österreichischen Demokratie – vielleicht schon im Herbst – wesentlich davon abhängen wird, ob die ÖVP aus der Geschichte gelernt hat, um mit den übrigen Parteien einen cordion sanitaire gegen die an die Macht drängenden antidemokratischen Kräfte zu bilden. Oder ob sie – wieder – bereit ist, Österreich in den Autoritarismus zu führen.
Mehr als eine Fußnote ist die Analyse der Autoren wert, dass die austrofaschistische Führungselite sich ein durchaus ambitioniertes und zumindest in Teilenauch aufgeschlossenes kulturpolitisches Programm zu geben versucht hat (Schuschnigg wurde sogar vorgeworfen, sich zu sehr um die große Kunst zu gekümmert zu haben). Immerhin sollte Österreich als Assett gegen Deutschland als erster deutscher Kulturstaat international als ein herausragendes künstlerisches Zentrum positioniert werden.
Davon ist nichts übrig geblieben: Der heutigen ÖVP kann man ähnliche Ambitionen nicht nachsagen, sie begnügt sich mit Maibaum-Aufstellen, um die österreichische Leitkultur zu charakterisieren. Restideen holt sie sich von der AfD-Propaganda a la “Leitkultur statt Multikulti”.
Noch ein Indiz, wie hohl die “Maskerade” mittlerweile geworden ist.
Umso mehr lohnt die Lektüre dieses “Geschichtsbuches” im besten Sinn des Wortes, in das man sich eingraben kann.