Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
Drei Filme, ein Thema: Das Recht auf ein selbstgewähltes Ende
In früheren Gesellschaften, so lerne ich, wurden die Alten schon mal umgenbracht, wenn sie nicht mehr in der Lage waren, sich noch produktiv am Gemeinschaftsleben zu beteiligen. Ihren äußersten Ausdruck hat dieser Wille zur Jugend in den dikdatorischen Regimen des 20. Jahrhunderts gefunden, dem Millionen ältere (zusammen mit anderen “unbrauchbaren” und “ungewollten”) Menschen zum Opfer gefallen sind.
In den spätmodernen Gesellschaften hingegen sind es die Alten selbst, die darauf bestehen, ihrem Leben ein selbstgewähltes Ende zu bereiten. Ein verunsicherter Rechtsbetrieb versucht, dem äußersten Anspruch an Individualität zumindest einen Orientierungsrahmen zu bieten, wenn Menschen im wahrsten Sinn ihr Leben selbst in die Hand nehmen wollen.
Einen frühen filmischen Versuch habe ich in “Die Auslöschung” mit Klaus Maria Brandauer und Martina Gedeck gefunden: Darin versinkt ein Kunsthistoriker in Alzheimer-Symptomen. Seine Partnerin erklärt sich bereit, ihm im Endstadium eine tödliche Medizin zu verabreichen ( Https://www.tvspielfilm.de/kino/filmarchiv/film/die-ausloeschung,5218012,ApplicationMovie.html ).
Komplizierter erweisen sich die Beziehungen zu den Angehörigen in “Die letzte Reise” mit Christiane Hörbiger ( https://www.tvspielfilm.de/kino/filmarchiv/film/die-letzte-reise-at,8576786,ApplicationMovie.html ). Eine an Arthritis erkrankte alleinstehende Frau setzt gegen den vehementen Willen ihrer Töchter ihren Suizid in der Schweiz durch.
Und ja, da ist jetzt auch noch The Room Next Door” von Pedro Almodóvar in den Kinos angelaufen: ( https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=room+next+door ). Tilda Swinton spielt darin eine tödlich erkrankte Kriegsreporterin, die für ihren Freitod eine Bekannte (Julienne Moore) ersucht, sie zu begleiten.
Und es entsteht filmästhetisch ein kaum auszuhaltendes Widerspruchsverhältnis. Ja klar, auch in diesem Fall geht es um die Frage, ob ein Mensch die Entscheidung, sich selbst zu töten, treffen darf. Aber viel entscheidender ist es bei Almodóvar, dass es ihm gelingt, diese Entscheidung filmisch zu konterkarieren: Mit seinen beiden herausragenden Protagonistinnen gelingt es ihm, etwas zu schaffen, was bleibt.
Das ist einfach große Kunst – für die es sich lohnt zu leben.
All diesen Versuchen, sich mit einem selbstgewählten Ende auseinander zu setzen, ist eine soziale Blindheit gemeinsam. Die Protagonist*innen stammen allesamt aus gutsituierten, hoch reflektierten Milieus, die es sich schlicht leisten können, sich auf diese elaborierte Weise mit ihrem eigenen Ende auseinander zu setzen. Der formal ungebildete alkoholkranke, verlassene Arbeitslose in einer anonymen Industriesiedlung, der über seine Existenzsorgen irgendwann ins Wasser geht, der findet sich in diesen Geschichten nicht wieder.
Und noch etwas: All die Filme machen darauf aufmerksam, dass das eigentliche Problem nicht diejenigen sind, die sich umbringen und irgendwann nicht mehr sind. Deren Interpretationen ist gemeinsam, dass die Akteur*innen voll und ganz zu ihrer Entscheidung stehen, ja glücklich sind, ihrem Leben – endlich – ein Ende setzen zu können.
Das eigentliche Problem, das sind die Zurückbleibenden. Sie verlieren einen Menschen, der ihnen wichtig war. Und sie müssen weiterleben mit dem Wissen, dass es Menschen gibt, die mit guten Gründen dem Leben keinen Sinn mehr abgewinnen können.