Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
05/10/2024
Es gibt einen Epochenbruch….und die Kulturpolitik hat es nicht einmal bemerkt.
Heute beschwert sich der Kulturkritiker Wilhelm Sinkovicz in der Presse über einen Opernbetrieb, der seinen zentralen Auftrag verraten würde, “den Kern des traditionellen Repertoires über die Jahre hin zu präsentieren”. Das bürgerliche Stamm-Publikum, das die Oper als Rückversicherungsanstalt begreift, würde diese Fehlentwicklung mit Buhrufen beantworten.
Und gibt damit zu erkennen, dass er nicht erkannt hat, was da grad außerhalb seiner vier Wände passiert: nicht mehr und nicht weniger als das Ende des bürgerlichen Zeitalters.
War im 19. Jahrhundert das aufsteigende Bürgertum angetreten, mit Hilfe seiner kulturellen Versatzstücke die Macht zu ergreifen, so zeigen die jüngsten Wahlen deutlich, dass dieser Anspruch zunehmend ins Leere geht.
Ja, dieser Suprematieanspruch wurde seither von links ebenso wie von rechts immer wieder in Frage gestellt. Aber die Kulturpolitik seit 1945 war doch darauf gerichtet, die kulturelle Hegemonie einer bürgerlichen Klasse samt entsprechendem Bildungsauftrag aufrecht zu erhalten.
Daran änderten auch euphemistische Beschreibungen einer Weiterentwicklung in Richtung “Diversität” nichts. Das Gros der öffentlichen Ressouren geht bis heute dorthin, wo es auch in den 1950er Jahren hingegangen ist. Und das ist dorthin, wo Wilhelm Sinkovicz zu Hause ist.
Und jetzt das: Weitgehend unbemerkt hat sich unter rechtsextremer Flagge eine neue Kultur breit gemacht, die sich nicht nur anschickt, die bürgerliche Kultur als Eliten-Projekt zu denunzieren sondern auch all diejenigen hinter sich zu vereinen, die sich kultureller Bevormundung durch das “System” verweigern (dass deren Wortführer*innen sich dabei zum Teil ganz ähnlicher Strategien bedienen wie die außerparlamentarische Opposition der 1960er Jahre gehört zu den großen Ironien der Zeitgeschichte. Das Kulturpolitik damals vehement reagierte und in Reaktion darauf überhaupt erst das breitgefächterte Fördersystem vor allem im Freien Bereich entwickelt hat, wie wir es heute kennen, scheint heute weitgehend vergessen).
Umso unverständlicher,, dass Kulturpolitik der letzten Jahre nicht einmal bemerkt hat, wie sehr sie mittlerweile ins Abseits und so auch nicht einmal in Ansätzen ein Konzept gegen den Aufstieg eines antobürgerlichen Machtanspruches entwickelt hat.
Und so ist es – entgegen allen Berufsoptimist*innen der Stunde -eigentlich ziemlich egal, welche Regierungsform als nächstes auf Österreich zukommt.
Das Match zwischen Philharmonikern und John-Otti-Band ist längst entschieden.