Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
“Fair Pay” wird den Kulturbetrieb verändern
In diesen Tagen erhielten steirische Antragsteller*innen Förderzusagen, in denen sie zur Einhaltung von Fair-Pay-Regeln verpflichtet werden. Diese beziehen sich zumindest teilweise auf Vorgaben aus dem institutionellen Sektor und erscheinen den Förderwerbern in Bezug auf die Arbeitsbedingungen im Freien Sektor als „weltfremd“. Entsprechend hält sich die Freude in Grenzen, zumal die zugesagte Fördersumme nicht ausreicht, den Spielbetrieb entlang der neuen Vertragsbestimmungen mit den Ausführenden aufrecht zu erhalten.
Was da zum Vorschein kommt, das ist ein neues kulturpolitisches Widerspruchsverhältnis, das uns noch länger beschäftigen wird. Es liegt in der Natur der Sache, dass fürs Erste niemand gegen „Fair Pay“ sein wird. Schlechte Beschäftigungsverhältnisse gehörten in den letzten Jahren zur Normalität vor allem der Freien Szene, in der die Grenzen zwischen Ehrenamtlichkeit, Prekarität und Ausbeutung oft nur schwer zu ziehen waren. Dagegen Richtlinien fairer Bezahlung erbrachter Leistungen zu setzen stellt somit eine kulturpolitische Errungenschaft dar. Umso mehr, wenn die Durchsetzung von Fair-Pay-Regeln durch die öffentliche Hand – wie versprochen – von einer kompensierenden Ausweitung des Fördervolumens begleitet wird.
Tut es aber nicht. Zwar wurden in einigen Gebietskörperschaften die Fördersummen erhöht; diese reichen bislang jedoch bei Weitem nicht aus, bei Aufrechterhaltung der bislang erbrachten Leistungen den neuen Fair-Pay-Vorgaben (die sich zum Teil an Regelungen des institutionellen Sektors orientieren) zu entsprechen. Wenn vieles dafür spricht, dass die Kunst- und Kulturbudgets auf Grund zu erwartender Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand in den nächsten Jahren keine signifikante Ausweitung erfahren werden, dann läuft die Implementierung von Fair-Pay-Maßnahmen auf einen Selektionsprozess hinaus, der die Konkurrenzverhältnisse zwischen finanziell abgesicherten und finanziell schon bisher ausgehungerten Kulturprojekten weiter anheizen wird (in diesem Zusammenhang erweist sich die Zusammenlegung der Kunst- und der Kultursektion 2015 als besonders verhängnisvoll, war doch erstere in den 1970er Jahren angetreten, auf den besonderen Bedürfnisse freischaffender Künstler*innen bzw. der Freien Szene bestmöglich entsprechen zu können. Diese „administrative Sensibilität“ wurde damit nachhaltig geschwächt. Nicht nur die Vertreter*innen der verschiedenen Interessensgemeinschaften können ein Lied davon singen).
Fair-Pay stellt – ob wr das wollen oder nicht – ein wichtiges Signal für einen grundsätzlichen kulturpolitischen Paradigmenwechsel dar. Immerhin zeichneten sich die letzten Jahre durch kulturpolitische Absichten aus, den Kulturbetrieb verstärkt auf den selbstregulierenden Markt zu verweisen, um im Verhältnis von Angebot und Nachfrage selbst über seine Produktionsverhältnisse entscheiden zu lassen. In seiner Förderpraxis wollte sich die öffentliche Hand auf die Bewertung künstlerischer Qualitätsansprüche beschränken; wie diese realisiert werden, war für ihn bestenfalls von sekundärer Bedeutung.
In den letzten Jahren lässt sich beobachten, dass immer mehr „nicht künstlerische“ Kriterien Eingang in die staatliche Bewertung finden: Entscheidungen zu Gender-Gerechtigkeit, Diversität, Nachhaltigkeit, Zielgruppenspezifik und jetzt eben die Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse treten an die Seite genuin künstlerischer Bewertungen und stellen insbesondere im sogenannten Freien Sektor die Idee künstlerischer Autonomie in Frage (Eine Entwicklung, die zuletzt Wolfgang Ullrich in seinem Essay „Die Kunst nach dem Ende der Autonomie“ verhandelt hat).
Das aber bedeutet, dass der Staat dabei ist, den Kulturbetrieb nach ein paar Jahren des neoliberalen Experimentierens wieder stärker an die Kandare zu nehmen. Und dass dabei ein zuletzt „ausufernd überhitzter Betrieb“ sich selbst wieder auf Normalmaß zurückstutzt, ist den handelnden Akteur*innen nur recht.
Sie können sich dabei auf eine lange Tradition vor allem nach 1945 berufen, also in einer Zeit, in der der Staat für sich das Monopol, über „gute Kultur“ zu verfügen, beansprucht hat. Das, was mich an einer gelingenden Wiederauflage freilich zweifeln lässt, das ist die weitgehende Kompetenzlosigkeit des Entscheidungspersonals in Österreich, das hierorts dazu tendiert – im Unterschied zu Deutschland – weniger nach kulturpolitischen Kriterien und mehr nach parteipolitischen Opportunitäten zu entscheiden.
Insgesamt spricht im Moment viel dafür, dass es a la longue bei Fair-Pay um weit mehr geht als einzelne Vertragsverhältnis einzelner bislang diskriminierter Beschäftigter in staatlich geförderten Kulturinitiativen und Einrichtungen. Wir werden also um eine Neuverhandlung des Kulturangebotes inklusive seiner gesellschaftspolitischen Verortung nicht herumkommen. Und diese ist ohne eine strategische Ausrichtung der österreichischen Kulturpolitik nicht zu haben. Dazwischen empfehle ich, zumindest in der aktuellen Übergangssituation nicht alle Förderwerber unter den gleichen Kamm von Fair-Pay zu scheren sondern im Zuge von „Einzelfallprüfungen“ (wir kennen diesen Terminus aus dem Asylwesen) eine gedeihliche Weiterentwicklung unter den neuen Vorgaben zu ermöglichen.
Und noch ein Detail möchte ich ansprechen: Das Bundeskunstförderungsgesetz aus 1988 weist dem Bund die Aufgabe zu, „das künstlerische Schaffen in Österreich und seine Vermittlung zu fördern“. Damit ist es explizit kein Gesetz, das die Förderung von Künstler*innen regelt. Das gilt auf für die vergleichbaren landesgesetzlichen Regelungen. Mit Fair-Pay aber vollzieht die öffentliche Hand nolens volens einen Kurswechsel, der nicht mehr das künstlerische Schaffen sondern die Arbeitsbedingungen von Künstler*innen zum Fördergegenstand macht.
Auch hier könnten die Auswirkungen folgenreicher sein als wir in der ersten Euphorie annehmen.