Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
18/01/2024
Kultur und Selbstzweck – Relektüre mit kulturpolitischer Brille von “Haben und Sein” von Erich Fromm
Mitte der 1970er Jahre wurde “Haben oder Sein” des deutsch-amerikanischen Sozialpsychologen Erich Fromm zum Kulturbuch. Es liest sich heute wie ein letztes Aufbäumen der sogenannenten 68er Generation gegen eine umfassende Marktdominanz, die auch auf den Bereich der Kultur übergegriffen hat und seither das kulturelle Verhalten im Spannungverhältnis von Produktion, dem Handel, dem Erwerb und dem Konsum von “Kultur” bestimmen.
Im Anstand von 50 Jahren staune ich über die Hellsichtigkeit, mit der Fromm nicht nur die Beschädigung der menschlichen Psyche durch einen auf permanent gestellten Erwerbszwang analysiert sondern auch die verheerenden Auswirkungen auf die Umwelt, die dem Anspruch auf permamentes Wirtschaftswachstum mit zunehmender Erschöpfung antwortet.
Im Zentrum seiner Überlegungen steht der schwierig zu fassende Begriff des “Seins”. Und damit eines Menschseins, das sich nicht permanenter Anforderungen von außen verpflichtet weiß sondern seinen Begründungszusammenhang aus sich selbst erfährt.
Dabei aber weiß sich der/die Seiende nicht weltfremd isoliert (Stichwort: Identität als Ausdruck von Martkförmigkeit) sondern eingebettet in vielfältige Kommunikations- und Interaktionsformen, deren besondere Qualität darin besteht, dass sie nicht oktroyiert und damit fremdbestimmt sind sondern einem eigenen, selbstbestimmten Antrieb entsprungen. Also selbstzweckhaft ihre Kraft aus sich selbst beziehen, wie immer die Wirkungen für und mit anderen sein mögen.
Fromm bezieht sich dabei noch einmal auf die Marx’sche Dichotomie vom Reich der Freiheit versus dem Reich der Notwendigkeit aus dem 3. Band des Kapitals: Um noch einmal darauf hinzuweisen, um was es in der Kultur geht: Um den Anspruch einer Selbstzweckhaftigkeit, die sich externen Verwertungslogiken entzieht:
“Das Reich der Freiheit beginnt in der Tag erst da, wo das ARbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also in der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion…..Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den, ihrer Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn. Aber es bleibt immer ein Reich der Notwdendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem R’eich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung.”
Dass mit dieser Aussage der Weg gewiesen wird, um die die traditionelle Differenz zwischen Arbeit und Kultur aufzuheben, darauf sei hier nur am Rand hingewiesen.
Alle, die weiterlesen wollen, empfehle ich den gerade erschienenen Essay von Justin O’Connor: “Culture is not an industry – Reclaiming art and culture for the common good” ( https://manchesteruniversitypress.co.uk/9781526171269/ )