Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
Kulturelle Teilhabe – ein staatlich finanziertes Mißverständnis
Es war in den 1990er Jahren als Dieter Hildebrandt in seiner Münchner Lach- und Schießgesellschaft für so manchen Brülle sorgte, wenn er meinte, in Österreich ließe sich ein signifikanter Trend zum Zweitbuch hin feststellen. Die Grundlage dafür bildeten diverse Befragungen des ifes-Instituts, das seit 1975 bis in die frühen 2000er Jahre immer wieder wissen wollte, wie häufig das kulturelle Angebot genutzt wird: https://www.zeit.de/2007/42/Kulturverhalten
Beim gestrigen Forum Kultur hat das BKA die Katze aus dem Sack gelassen und wissen lassen, dass das Institut sora – diesmal unter dem Titel “Kulturelle Teilhabe” – eine Neuauflage einer solchen Befragung versucht.
Ein Kollege von sora erzählte den Forum-Besucher*innen kurz von ersten Ergebnissen: Wenig überraschend haben die rund 2 000 Interviews das bestätigt, was wir ohnehin schon wissen: je wohlhabender und gebildeter die Menschen, desto öfter besuchen sie Kulturveranstaltungen; drei Viertel der Bevölkerungmachen machen von dem, was sora für kulturell signifikant erklärt, gar keinen Gebrauch; 20 % fallweise. Und nur wenige Prozent stellen ungebrochen das in die Jahre gekommene Kernpublikum dar.
Überrascht hat der Kollege mit der Aussage, Menschen seien in den Lockdowns draufgekommen, dass ihnen nichts abgeht, wenn sie nicht ins Theater der Konzert gehen; damit habe ein “Entlernen” stattgefunden, dass schon allein auf Grund der demographischen Entwicklung (Ende der Baby-Boomer) nicht mehr würde ausgeglichen werden können.
Die Studie wird Anfang April verfügbar sein. Bis dahin bleibt die große Verwunderung darüber, wie es möglich ist, nach Jahrzehnten des Diskurses rund um “Kulturelle Teilhabe” im staatlichen Auftrag den Besuch von Veranstaltungen ungebrochen zum Maß aller Dinge zu erklären.
Vielleicht hätte es doch Sinn gemacht, den einen oder anderen Experten oder Experin bei der Erarbeitung der Studie mit an Bord zu holen.