Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
Kulturpolitik als Verstärker der herrschenden Ungleichheit
Die jüngst veröffentlichte “Grundlagenstudie zur kulturellen Beteiligung in Österreich SORA war in erste Linie als eine Beruhigungspille für den (staatlich priorisierten) Kulturbetrieb gedacht.
Die Hoffnung der Auftraggeber bestand darin, nachweisen zu können, dass die Pandemie zu keiner nachhaltigen Veränderung des Besucher*innen-Verhaltens geführt hatte und somit alles beim Alten bleiben könne.
Und in der Tat weist SORA nach, dass sich die Anzahl der Besucher*innen seit den letzten Erhebungen seit 2013 sogar erhöht hätte – und zwar genau im Verhältnis zum insgesamten Bevölkerungswachstum.
Sehr wohl aber lassen die Ergebnisse erkennen, dass es vor allem im Bereich Theater, Konzert oder Tanz dauerhaft sinkende Zahlen im zweistelligen Bereich gibt. Und es spricht nichts dafür, dass die daraus resultierende Überproduktionskrise noch einmal kompensiert werden kann mit begründbaren Erwartungen, dass die Besucher*innen früher oder später zu einem Verhalten aus Vor-Corona-Zeiten zurückkehren würden.
Mit einem Klischee aber räumt die Studie gehörig auf: Dass Migrant*innen unterdurchschnittlich am kulturellen Geschehen beteiligt wären. Das Gegenteil ist wahr: Geht es nach SORA, dann steht der Kulturkonsum zentral für den Versuch, in den neuen Gegebenheiten anzukommen. Es sind die schieren Daten, die die Aufmerksamkeit von der ethnischen Zugehörigkeit hin zur fortbestehenden Klassenstruktur lenken.
Denn die eigentlichen Bruchlinien ziehen sich durch die sozialen Stellungen der Besucher*innen. Es ist der familiale Hintergrund, der Bildungsgrad und das Einkommen, das ungebrochen über die Teilnahme am kulturellen Geschehen bestimmt. Und es spricht alles dafür, dass sich die ungleichen Chancenzuweisungen sich in den letzten Jahren noch einmal verschlechtert haben.
Damit weist sich die österreichische Kulturpolitik einmal mehr als eine Umverteilungsmaschine von unten nach oben aus, die die, die immer schon über entsprechendes “inkorporiertes kulturelles Kapital” (Bourdieu) verfügen, noch einmal begünstigt, während sie diejenigen strukturell benachteiligt, die dieses erst mühsam erwerben müssen.
Dass sich in den Zahlen von SORA ungeschminkt das Heraufkommen einer neuen (kulturellen) Klassengesellschaft zeigt, ohne dass das einen Aufschrei innerhalb des Kulturbetriebs hervorruft, zeigt einmal mehr, wie gesellschaftspolitisch irrelevant dieser mittlerweile geworden ist.
Eine genauere Analyse der Studie gibt es in meinem nächsten Blog
https://www.bmkoes.gv.at/Kunst-und-Kultur/Neuigkeiten/kulturelle-beteiligung.html