Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
“Leben und Sterben in Wien” von Thomas Arzt im Theater in der Josefstadt – eine heutige “Maskerade”
Als seine letzte Regie hat sich der Hausherr der Josefstadt Herbert Föttinger ein Stück über den Aufstieg des Austrofaschismus vorgenommen. Wohl in der Absicht, als Aufklärer in die Theatergeschichte einzugehen, der seinem Publikum die Parallelitäten zwischen damals und heute sinnlich erfahrbar zu machen.
Zu erleben ist eine höchst konventionell inszenierte Geschichtsstunde über die zunehmende Gewaltbereitschaft der Hahnenschwanzler im Spannungsfeld zwischen den opponierenden Sozialisten und den aufsteigenden Nationalsozialisten.
Die Schauspieler durften in ihren autoritären Charaktermasken aus dem Vollen schöpfen, und ihre Brutalität ausleben. Spätestens mit dem Absingen von “Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt” samt Rote-Fahnen-Schwingen der gedemütigten Roten überkamen mich Zweifel.
Auf beide Eindrücke reagierte das Publikum völlig emotionslos. Immerhin – so meine Annahme – handelt es sich bei den Besucher*innen der Josefstadt mehrheitlich um sogenannte Bürgerliche, denen da ein historischer Spiegel vorgehalten werden sollte.
Aber niemand protestierte, niemand verließ den Saal. Geduldig harrten alle fast drei Stunden aus, um am Ende einen verlogenen Pfarrer den Segen über all die Toten, die dieses politische System verursacht hat, sprechen zu sehen. Einhelliger Applaus.
Zwei Interpretationen bieten sich an: Die eine läuft darauf hinaus, dass es Föttiger in seiner langen Amtszeit gelungen ist, sein Publikum zu politisch bewußten Anhängern der liberalen Demokratie zu bekehren. Am liebsten hätten sie die roten Lieder selbst mitgesungen.Dann braucht es dieses dramaturgisch dünne Stück nicht.
Und die andere geht einher mit der Vermutung, dass das Publikum mittlerweile so politisch unbewußt bzw. historisch ahnungslos geworden ist, Ihm fällt in seiner großen Mehrheit gar nicht mehr auf, dass ihnen der Direktor da ein Abschiedsgeschenk in Form einer politischen Botschaft machen wollte. Sie verlangen Konvention, Föttinger hat sie bedient und sie haben einen theaterästhetisch wenig inspirierenden Abend verbracht. Auch dafür braucht es dieses Stück nicht.
Persönlich neige ich eher zweiter Interpretation zu: An diesem Publikum prallt alles ab, was es irritieren könnte. Gut-Gemeintes ganz besonders. Allein der Gedanke, auch nur ein/e Besucher/in würde nach dieser Theatererfahrung seine/ihre Erwartungen an die ÖVP angesichts des Aufstiegs der FPÖ verändern, erscheint nachgerade absurd.
Also hat mich beim Rausgehen der Gedanke überkommen, dass mit diesem Stück die gesellschaftspolitische Irrelevanz der Ära Föttinger nicht besser auf den Punkt gebracht werden konnte. Maskerade damals ( https://www.residenzverlag.com/buch/maskeraden ), Maskerade heute.