Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
Messe und Konzert – zwei Formate, eine Erfahrung
Manche von uns erinnern sich noch an die Jazz-Messen der 1970er Jahre. Unter dem Eindruck des 2. Vatikanischen Konzils machte sich in der Katholischen Kirche Aufbruchstimmung breit: Es galt, Anschluss an den Zeitgeist zu finden, die Gläubigen stärker ins Geschehen einzubeziehen und damit auch ihre kulturellen Vorlieben ins überkommene Setting des Gottesdienstes bessser zu berücksichtigen.
Und so ertönte plötzlich Gitarren-Sound aus dem Altarraum, manchmal sogar Schlagzeug, in der Hoffnung, das Kirchenvolk, das um sie gruppiert wurde, zum hilflosen Mitsingen samt rhythmischen Bewegungen zu verführen.
Ein früher Versuch von “kultureller Partizipation” also. Die ästhetische Qualität spielte dabei die geringste Rolle.
Diese Assoziation überkam mich, als ich den Beitrag von Ljubiša Tošić über neue Konzertformate im Klassikbereich gelesen habe: ( https://www.derstandard.at/story/3000000208859/ist-die-klassik-zu-retten-verschiedene-neue-konzertformate-versuchens )
Der Altmeister der Musikkritik unternimmt dabei eine Wanderung durch den Vermittungsbetrieb,; nicht unzufällig sind es gerade die Veranstalter zeitgenössischer Musik, die sich mit neuen Formaten bemerkbar machen, um das bewährte Rollenverhalten von Produzent*innen und Rezipient*innen aufzumischen. Dabei verschweigt Tošić nicht, dass die Avantgarden des 20. Jahrhunderts in ihrer Radikalität bereits viel weiter gegangen sind, Cager ma hte es möglich.
In weiten Teilen erfahren wir über einen Rettungsversuch des Klassischen Musikbetriebs, der bei “Wein und Musik” doch nur die guten alten Zeiten beschwört.
Die gutgemeinten Jazz-Messen haben nicht zur erhofften Öffnung des Kirchenbetriebs geführt. Eher haben sie einen neuen Fundamentalismus samt strikter Trennung des Priesters von den Gläubigen (als die kategorial “Anderen”) befördert, der die wahre Kirche hinter die Reformen Johannes XXIII zurückführen wollte. Und doch beten heute immer weniger alte Frauen den Rosenkranz…
Ich bin neugierig, ob sich das, wovon Tošić erzählt, als ein Alibi erweisen wird, das den unbedingten Willen zur weiteren Musealisierung des Musikbetriebs zu verschleiern trachtet. Oder ob sich da auf nachhaltige Weise ein neuer Umgang auch mit Musik andeutet, der sich auf der Höhe eine demokratisch verfassten Gesellschaft des Miteinander erweist.
P.S.: Ich versuche grad, mit den Begriffen “Klassische Musik” und “Partizipation” ein geeignetes Bild zu googeln. Gezeigt aber werden – mit Ausnahme aristoakratischer Feste – immer nur die Macher*innen…….