Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
Und was ist mit den Rezipient*innen?
Ein Vorschlag zur Relativierung der überkommenen Produktionslastigkeit des Kulturbetriebs
Wann immer wir den Kulturteil einer Zeitung aufschlagen, dann ist der Bericht über die jüngsten Hervorbringungen dieser bzw. dieses oder jener Künstlers*in nicht weit, was er oder sie fertig gestellt, auf die Bühne gestemmt oder sonst wie in die Öffentlichkeit gebracht hat. Als Produzent*in nimmt er bzw. sie dann auch gleich zu allen möglichen Themen der Zeit Stellung, ganz so, als ließe die Fähigkeit zur Kunstproduktion eine tiefere Sicht ins Weltgeschehen zu als bei allen anderen Normalsterblichen. Zumindest die Fähigkeit der Überhöhung durch Ignoranz wie im Fall von Hermann Nitsch soll uns am Glauben über die kategoriale Differenz zwischen Künstler*innen, die – egal was – etwas zu sagen und Nicht-Künstler*innen, die nichts zu sagen haben, festhalten lassen.
Was aber ist eigentlich mit all denen, für die – angeblich – all diese Kunst produziert wird. Sie bleiben – ganz ähnlich wie in den Auditorien der Kultureinrichtungen – weitgehend im Dunklen. Bestenfalls erhalten sie von darauf spezialisierten Kritiker*innen mehr oder weniger fachkundige Anweisungen, was es mit ihren Kunsterfahrungen auf sich hat.
Nicht eben ein Ausdruck von Gleichberechtigung zwischen Produktion und Rezeption, die sich im Umgang mit Kunst begegnen. Stattdessen wird selbst in liberal-demokratischen Öffentlichkeiten die eine Seite ebenso stereotyp wie systematisch auf stumm geschaltet.
Nicht wirklich eine probate Haltung, um Kunst in einer diversen Gesellschaft Bedeutung zu verleihen. Und wahrscheinlich auch nicht sehr erfolgsversprechend im Anspruch der Wiedergewinnung des Publikums, das seine kulturellen Haltungen während der Pandemie nachhaltig verändert hat.
Wie wäre es also mit dem Vorschlag, jeder Kunstproduzent*innen-Stimme um eine Rezipient*innen-Stimme zu erweitern. Auch Menschen, die Kunst-Machen nicht zu ihrem Hauptberuf gewählt haben, haben spezifische Zugänge zu Kunst, verbinden damit Erwartungen, zeigen Wirkungen, haben Ambition mitzuwirken und sehen sich so als Mitgestalter*innen dessen, was wir als Kultur verhandeln.
Warum also nicht Besucher*innen auf den Kulturseiten vorstellen und sie fragen, was für eine Verhältniss sie zur Kunst haben, warum sie Veranstaltungen besuchen, warum und wie sie gerne mit Künstler*innen in Beziehung treten würden, wie sie ihre Kunsterfahrungen in ihre Alltag- und Arbeitsleben integrieren und welche Utopien sie diesbezüglich entwickeln. Ich könnte mir vorstellen, die Leser*innen würden mit vielfältigen und auch überraschenden Einblicken belohnt. Und nicht zuletzt erhielten die Produzent*innen ein öffentlichkeitswirksames Feedback.
Am Ende könnte der*die Interviewer*in ja auch noch subjektive Einblicke ins Weltgeschehen erfragen – Könnte ja sogar sein, dass die eine oder andere Antwort klüger, weil erfahrungsgesättigter, ausfällt als bei denen, die noch immer behaupten, sie und nur sie machten die Kunst.
(siehe Die Gesellschaft interessiert mich nicht in der Wiener Zeitung)