Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
10/11/2024
Vom Ende des bürgerlichen Zeitalters. Und warum wir uns bereits mitten in einer neuen Revolution befinden.
“Warum” hat vor ein paar Tagen ein Freund gepostet, um damit wohl seiner Ratlosigkeit angesichts des politischen Erdbebens, das sich gerade weltweit erreignet, Ausdruck gegeben.
Und wähnt sich mehr denn je auf der “richtigen Seite”, um doch verdattert wahrnehmen zu müssen, dass immer mehr Menschen seine Weltsicht nicht teilen und nicht mehr bereit sind, sich widerspruchslos in die von ihm repräsentierten und doch sie diskriminierenden Verhältnisse dreinzufügen.
So wie er müssen sich wohl weite Teile der Aristokratie im ancien regime gefühlt haben: Wie kann es sein, dass immer mehr Untertanen sich von uns abwenden, es ist doch alles besser geworden, sollen sie doch Kuchen essen….
Und doch ist die öffentliche Wahrnehmung in dieser Woche der Einsicht näher gekommen, dass gerade eine neue Revolution stattfindet, weltweit diesmal, die das Ende des Suprematieanspruches der bürgerlichen Gesellschaft samt ihrem zynisch doppeldeutigen Werteverständnis deutlich macht:
Und es sind wieder diejenigen, die sich erniedrigt und beleidigt fühlen, die sich nicht mehr mit den Versprechungen eines Wahren, Guten und Schönen abspeisen lassen wollen. Sondern sich nach Rache sehnen. Und sei es mit verlogenen, menschenverachtenden oder autoritären Mitteln.
Vor dreissig Jahren schien es Common Sense, dass ein demokratisch legitimierter Kapitalismus das Ende der Geschichte einläuten würde. Spätestens diese Woche wird deutlich, dass die Geschichte zurück gekommen ist, die Agitateure des Neoliberalismus haben ganze Arbeit geleistet: Und so kommen wir nicht herum zu erkennen, dass auch das bürgerliche Zeitalter ein Abkaufdatum hat. Und neue tiefgehende Umwälzungen vor der Tür stehen.
Keine gute Nachricht für die Nutznießer der bestehenden Ordnung, die mit all den guten Rufen nach Demokratie, Menschenrechte, Gleichberechtigung längst den Kontakt zu all denjenigen verloren haben, die in wachsender Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit leben.
Die Chancen, dass alles so bleibt wie es ist, waren schon lange nicht mehr so gering.
Und die Frage nach dem “Warum” wird sich angesichts der blinden Erruption der freigesetzten Kräfte schlicht erübrigen.