Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
WochenKlausur – Eine (wohl allzu kursorische) Erinnerung. Und ein vehementer Widerspruch
In diesen Tagen erreichte mich ein vehementer Protest zu einer Passage des Beitrags „Wer ist ein*e Künstler*in“ in “Für eine neue Agenda der Kulturpolitik“, der ursprünglich als Blogbeitrag auf meiner Website unter „Wer ist ein Künstler? – Wer ist eine Künstlerin?“ erschienen ist.
Der Gründer und (Mit-)betreiber der Künstler*innen-Gruppe WochenKlausur Wolfgang Zinggl konstatiert darin eine eklatante Missinterpretation der Aktivitäten und ja, auch einen schlampigen Umgang mit Daten. Nun richtete sich die Intention meines Beitrages aus 2020 darauf, eine Neuverortung von „Künstler*innen“ zu versuchen, in der Hoffnung, damit zur Relevanz von Kunst abseits des etablierten Betriebs angesichts der wachsenden gesellschaftlichen Krisenerscheinungen beizutragen. Dies insbesondere im Zusammenhang mit dem seit den 1970er Jahren gewachsenen öffentlichen Kunstförderungswesen, das sich zunehmend schwertut, für ihre Entscheidungsfindung immanent ästhetische Qualitätskriterien heran zu ziehen.
In diesem Zusammenhang ist mir die Künstler*innen-Gruppe WochenKlausur besonders beispielhaft erschienen. Bereits seit 1993 führte sie soziale Interventionen durch. Sie wurde auf Einladung von Kunstinstitutionen tätig, um „kleine, aber sehr konkrete Vorschläge zur Veränderung gesellschaftspolitischer Defizite“ umzusetzen. Auf ihrer Website beklagt sie, dass bereits damals „der Begriff der Intervention in der Kunst (…) ein wenig inflationär – für jede Art der Veränderung – eingesetzt (würde)“.
In Anlehnung an KünstlerInnen des 20. Jahrhunderts, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Gesellschaft aktiv mitzugestalten, wollte sich die Gruppe WochenKlausur Kunst von Anfang an als eine Möglichkeit verstehen, mit den Mitteln der Kunst Verbesserungen im Zusammenleben herbeiführen. Im Bemühen, eine eigene künstlerische Methode zu entwickeln, war es der Gruppe ein besonderes Anliegen, „Gestaltung und Kreativität, in der traditionellen Kunst meist für formale Belange eingesetzt, (…) auch für anstehende Probleme in Bildung, Ökologie, Wirtschaft, Städteplanung oder für soziale Aufgaben“ einzusetzen.
Es ist evident, dass mit ihren Aktionsformen der Anspruch verbunden ist, selbst über die Definitionsmacht zu verfügen, zwischen Künstlerischem und Nichtkünstlerischem entscheiden zu können. Und hier beginnt meine Fehlinterpretation, wenn ich – mich an ein Gespräch vor 30 Jahren erinnernd – Künstler*innen (auch denen an WochenKlausur beteiligten) zugesprochen habe, alles und jedes zur Kunst erklären zu können. Ja, diese Traditionslinie künstlerischer Avantgarden gibt es, aber diese Art der „Überhöhung“ trifft dezidiert nicht auf das Selbstverständnis von WochenKlausur zu, die nicht Kunst per se sondern einen/ihren spezifischen methodischen Zugang der sozialen Intervention zum Maßstab der Unterscheidbarkeit erklärt.
WochenKlausur hat eine Vielfalt an Projekten entwickelt. Darunter der Versuch, die medizinische Erstversorgung obdachloser Menschen zu ermöglichen. Die Betreiber*innen haben dafür einen Bus über Kleinsponsoring von 5000 Schilling-Beiträgen (damit keine Firma sich damit schmücken kann) gekauft, ihn zu einer Ambulanz umgebaut und sicher gestellt, dass dieser nach der Intervention weiter betrieben werden kann (wobei es zu Kontroversen mit der dafür zuständigen Wiener Stadträtin gekommen ist, die schließlich einer Finanzierung für zunächst ein Jahr zugestimmt hat).
Meine Falschannahme (wohl allzusehr am Beispiel EDUCULT orientiert, das bis heute mit dem Vorurteil fertig werden muss, wonach seine Aktivitäten öffentlich gefördert würden, was sie in ihrer betrieblichen Grundstruktur bis heute nicht werden) bestand darin, der WochenKlausur Förderungen aus dem Kunstbudget zuzuschreiben. Geht es nach Wolfgang Zinggl, dann hat die Gruppe zum damaligen Zeitpunkt keine Mittel aus der Kunstförderung erhalten und ihre Betriebskosten anderweitig finanziert (Erst seit 2003 erhält WochenKlausur eine kleine Subvention zur Aufrechterhaltung ihrer Infrastruktur). Was sich im Nachgang den blinden Fleck, den die Kunstförderung bis heute bei der Weiterentwicklung eines zeitgemäßen Kunstbegriffs und seiner Umsetzung in der Gesellschaft verdeutlicht.
Wolfgang Zinggl legt Wert auf die Feststellung, dass WochenKlausur keine Aktivitäten an Schulen entfaltet hat. In der Projektliste finde ich zwar eine Aktivität „Projektunterricht an Schulen“; diese bezieht sich bei genauerem Hinsehen auf eine temporäre Intervention in Japan. Gleichzeitig tauchen bei mir Erinnerungen an ein Projekt „Mission auf Bestellung“ (leider kann ich in dem Zusammenhang auf keine weitergehende Literatur verweisen) auf, die Wolfgang Zinggl gemeinsam mit Christopher Widauer in Schulen realisiert hat, um bei Schüler*innen das Interesse an der ganzen Vielfalt des künstlerischen Geschehens zu wecken. Diese Initiative aber stand nicht im Zusammenhang mit WochenKlausur.
Ich bleibe dabei, ich halte WochenKlausur für einen wichtigen Impulsgeber bei der Realisierung eines „Offenen Kunstwerkes“ (Umberto Eco) in einem traditionsverliebten Österreich, das sich die längste Zeit durch allzu klare Vorstellungen ausgezeichnet hat, was (gute) Kunst ist und was nicht. Mit meinen assoziativen Bemerkungen wollte ich nichts weniger als dieser Initiative Beliebigkeit im Umgang mit künstlerischen Phänomenen zuschreiben. Ganz im Gegenteil als eine Möglichkeit für Künstler*innen, gerade dort zu intervenieren, wo eine Gesellschaft jenseits des traditionell selbstläufigen Kunstbetriebs im Umgang mit ihren (sozialen) Problemen allein nicht weiterweiß.
Ich hoffe, zumindest darin bin ich mit Wolfgang Zinggl einig.