Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
10/01/2023
„Maria malt“ von Kirstin Breitenfellner – Eine Lesempfehlung für all diejenigen, die sich an (eigenen) Widersprüchen abarbeiten wollen, ohne eine Lösung zu erwarten
Es gibt Bücher, die machen es einem nicht leicht. Selten habe ich ein Buch mit so gemischten Gefühlen weggelegt wie „Maria malt“ von Kirstin Breitenfellner. Vordergründig ist der Text die romanhafte Auseinandersetzung mit dem Leben Maria Lassnigs, das ganz auf ihre Kunst gerichtet war. Breitenfellner hat viele Jahre recherchiert und danach versucht, die Ergebnisse in eine, der Hauptperson möglichst nahe künstlerische Sprache zu bringen. Mit diesem Versuch der sprachlichen Anverwandlung will sie von dem erzählen, was diese Ausnahmekünstlerin „als Ganzes“ ausgezeichnet hat. Darüber hinaus stellt der Text einen wichtigen Beitrag zur österreichischen Kunstgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar, mit dem inneren und äußeren Wirrnisse einer beschädigten Nachkriegsgeneration spürbar werden.
Und so entsteht das Bild einer vielfach gebrochenen Persönlichkeit, die in ihrem künstlerischen Wahrheitsanspruch vor keiner Peinlichkeit zurückscheut. Sie treibt nicht der Wunsch nach persönlicher Entfaltung, nach Mitwirkung, nach (vordergründigem) Erfolg. Vielmehr benutzt sie die ihr innewohnenden Widersprüche, um das zu machen, um was es ihr als vorrangiges Antriebsmittel geht: um das Schaffen ihrer Kunst. Dem ordnet sie alles andere unter, ihre heillose Mutterbeziehung, ihre ungleichen Liebschaften, ihre Arbeitsbedingungen und ihr Verhältnis zu Leben und Tod.
Breitenfellner findet hierfür eine sehr besondere sprachliche Mischung aus Beobachtung, Bericht und Selbstdarstellung. Mit dieser Manier versucht sie so tief als möglich in die Person Maria Lassnig zu schlüpfen, um das auszudrücken, was diesen Menschen, der sich immer ein Stück außerhalb der Welt verortet hat, ausgemacht hat. Das kommt vor allem im letzten Kapitel mit demselben Titel wie das Buch zum Ausdruck, in dem die Ich-Erzählerin Lassnig noch einmal ihr bisheriges Leben Revue passieren lässt. Und so am Ende einen Lesefluss ermöglicht, der zuvor am Unwillen, sich einem solchen Leben auszusetzen, immer wieder zu scheitern drohte.
Ermüdend fand ich die vielen Gedanken-, ja Satzwiederholungen, die sich um die immergleichen Problemstellungen drehen. Ja, Künstlerinnen wurden (und werden wohl bis heute) benachteiligt; ja, der Kunstmarkt folgt einer anderen Logik als Lassnigs künstlerischem Schaffen; ja, auch Lassnig hat ein gespaltenes Verhältnis zu ihrer Mutter; und ja, sie kann sich nicht dauerhaft an einen Liebespartner binden, weil sie damit ihre Bestimmung als Künstlerin verraten würde. Mit diesen Gedanken wird der/die Leser in immer neuen Schleifen konfrontiert bis sie irgendwann unerträglich werden.
Und doch ist es vielleicht gerade dieser Wiederholungszwang, der Lassnig als eine herausragende und zugleich bis heute unterschätzte Künstlerin charakterisiert, die mit ihren Lebensthemen auf immer neue Weise konfrontiert ist. Und nicht zu lösen vermag, außer in ihrer künstlerischen Darstellung. Damit setzt Breitenfellner immerhin Assoziationen frei, die den/die Leser*in auf ein eigenes Verhalten verweist, wenn es darum geht, der eigenen Widersprüchlichkeit trotz immer neuer gedanklicher Anläufe nicht und nicht entkommen zu können (vor allem wenn dafür kein adäquates Ausdrucksmittel zur Verfügung steht).
Der größte Gewinn dieser Lektüre lag für mich in der Beobachtung einer Person, die sich jeglicher Scham entzieht. Die haltlos ausdrückt, was sie denkt und fühlt, und dafür auch soziale Sanktionierung in Kauf nimmt. Davon wünschte ich mir mehr, nicht nur unter Künstler*innen, in einer umfassend zugerichteten Gesellschaft. Der Lohn sind Bilder einer unverfälschten künstlerischen Wahrheit, die am Ende eine langen Künstler*innen-Lebens schließlich doch Eingang in den hegemonialen Kunstbetrieb gefunden haben. Über Sätze wie: „Über meine Mutter, diese stolze, schöne, lebenstüchtige und gesinnungslose Mutter kann ich nicht schreiben. Meine Gefühle zu ihr stecken wie ein Pfahl in meiner Brust. Wenn ich ihn herausziehen würde, würde ich verbluten“ oder „Erinnerung ist eine Illusion. Die Illusion versäumter Lieben“ werde ich noch lange nachdenken.
Der Falter hat das Buch in sein „Lesekränzchen“ aufgenommen.