Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
Künstler*innen in Zeiten der großen Verunsicherung
Im letzten Gespräch mit meinen Studierenden an der Angewandten zu aktuellen kulturpolitischen Fragen sind wir dem Selbstverständnis von Künstler*innen in der aktuellen Krise nachgegangen. Uns ist dabei aufgestoßen, dass es die Gegenwartskunst der letzten Jahre nur zu oft darauf angelegt hat, eingefahrene Sichtweisen zu irritieren, Routinen zu unterlaufen und damit so etwas wie produktive Störung zu bewirken. Dabei wurden die Betrachter*innen nur zu gerne als Menschen wahrgenommen, die es sich in ihren Haltungen bequem gemacht haben, die von einem falschen Sicherheitsdenken geprägt sind und deren Flexibilität im Kopf es gilt, auf die Probe zu stellen.
Und doch sind wir um die Einschätzung nicht herumgekommen, dass gegenwärtig immer mehr Menschen ihrer existenziellen Sicherheiten verlustig gehen, nicht mehr wissen, woran sie sich halten können und zunehmend ihren Orientierungsrahmen samt Perspektiven verloren haben. Damit aber erleben sie eine wesentlich umfassendere und tiefergehende Verstörung, als ihnen das eine noch so verstörende Erfahrung mit Kunst je zumuten könnte. Das ästhetische Spiel bleibt weit hinter dem Ernstfall, dem immer mehr Menschen ausgesetzt sind, zurück.
Wir haben daraus geschlossen, dass die Zukunft des*der Künstlers*in nach dem Ende der Pandemie sich nicht darin wird erschöpfen wird können, der Gesellschaft noch einmal einen selbstgebastelten kritischen Spiegel entgegen zu halten. Als mindestens ebenso wichtig sollte sich die Fähigkeit erweisen, mit ihrer ästhetischen Expertise einen konkreten Beitrag zu den anstehenden Problemen wie Klimakrise, sozialer Zusammenhalt, demokratische Standards oder Menschenrechte zu leisten und damit – zumindest ein Stück weit – die Relevanz zurückzugewinnen, die in den letzten Jahren verloren gegangen ist.
Manche Künstler*innen mögen das vorschnell als einen weiteren Instrumentalisierungsversuch interpretieren. Und doch könnte es sein, dass die Gesellschaft mittlerweile einen krisenhaften Zustand erreicht hat, in der der Anspruch auf „l’art pour l‘art“ bei den Betroffenen als ein Hohn empfunden werden muss. Zurückbleibt die von den Rechten nur zu gern verbreitete Behauptung, Kunst erschöpfe sich in Selbstbespiegelung und sie sei blind gegenüber der existenziellen Verunsicherung, der sich ihr Publikum ausgesetzt sieht.
Dass sich hier ganz neue Kooperationsmöglichkeiten mit Vertreter*innen sozialer Bewegungen aber auch der Wissenschaft und Forschung ergeben, um so den Zustand des isolierenden Individualismus aufzugeben, könnte sich als eine Perspektive auch für das eigene Schaffen erweisen.