Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
Hellers Bauchfleck – Wenn Ikonen über ihren eigenen Widersprüchen zerbrechen. Und was das für das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft bedeutet.
Der Satz: „Kunst ist ein Format, das jegliche Formatierung übersteigt“ bildet eine zentrale Grundlage meiner kulturpolitischen Bemühungen. Er ist Ausdruck eines, auf den Grundlagen der Avantgarden des 20. Jahrhunderts entwickelten „erweiterten Kunstbegriffs“, der darauf hinausläuft, das im Prinzip alles Kunst sein kann, wenn, ja wenn….
Das Problem: Über dieses „wenn“ gibt es ganz unterschiedliche Ansichten, selbst im Kunstfeld gibt es darüber keinen Konsens (und hat es ihn nie gegeben); auch die immer brüchiger werdenden Qualitätskriterien helfen nicht mehr weiter. Entsprechend groß die machtpolitisch und damit interessengeleiteten Ambitionen der im Feld Tätigen, über dieses „wenn“ zumindest ein Zipfel an Definitionshoheit zu erlangen. Immerin: Geht es jedenfalls nach Wolfgang Ullrich, dann entscheidet das Recht des (seltener der) Stärkeren über ihre Existenzgrundlagen.
Eine zusätzliche Dynamik dieses weitgehend irrational vorgetragenen Kräftemessens liegt in der Erwartung an die Kunst, bestehende Grenzen zu übertreten, damit Neues zu schaffen, das sich möglicher jeglicher Einordenbarkeit entzieht und damit geltende Regeln außer Kraft zu setzen vermag. Es gilt, all das, was ist zu irritieren, in Frage zu stellen, jedenfalls sich als eine Instanz zu empfehlen, die sich mit dem herrschenden Konsens innerhalb und außerhalb des Kunstfeldes nicht zufriedengeben möchte.
Ich erwähne diese Voraussetzungen als Hintergrund für eine bessere Einordnung dessen, was da André Heller mit seinen selbstgebastelten Basquiat-Rahmen ins Rollen gebracht hat. Geht es nach den angedeuteten Kriterien des Kunstbetriebs, dann gehört eine gewisse Schlitzohrigkeit von Künstler*innen nachgerade zu einem Qualitätsausweis. Radikalität als Form der Illoyalität bis hin zur Fälschung gehören in diesem Konzept der Kreativität zur Grundausstattung künstlerischer Tätigkeit. Und Heller hat – offenbar mehr aus Lust am Verbotenen als aus finanziellen Nöten – diesem Anspruch nachgegeben. Und ist halt dabei auf die Goschn gefallen als er erwischt worden ist.
Und wird doch von so manchen bemitleidet bzw. exkulpiert: Es ist ja auch nicht verwunderlich, dass er in seinem Tun eine Reihe von Sympathisant*innen gefunden hat, die – schon in Bezug auf eigene Existenzängste – darauf verweisen, Künstler*innen seien mit anderen Maßstäben zu behandeln als alle anderen; das was anderswo klar als Regelverstoß sanktioniert werden muss, wird bei Heller nur all zu leicht zu einem Angriff auf die künstlerische Freiheit, deren – siehe oben – sich ja gerade darin erweisen würde, sich , wenn es sein muss ohne jeden Genierer über die bestehende Ordnung hinweg zu setzen. Sie geben damit einer (hyper-)liberalen Haltung Ausdruck, die darauf hinausläuft, alles zu legitimieren, was ihrem künstlerischen Tun entgegenkommt. Für sie gibt es kein „wenn“ (eine Haltung, die auch erklärt, warum Künstler*innen dort, wo sich der politische Wind dreht, oft unerwartet rasch bereit sind, zu Günstlingen zu mutieren).
Hellers Intentionen als „radikaler“ Künstler steht freilich sein Statuts als eine Ikone des guten, verantwortlichen und verlässlichen Österreich entgegen. Spätestens mit seiner Mitwirkung am Lichtermeer 1993 gegen Haiders Ausländerpolitik verstand er es, von sich als ein reicher Erbe mit unstillbaren Ambitionen, Kunst ins Volk zu bringen, ein entrücktes Bild der Erhabenheit über die Niedrigkeiten des Lebens zu inszenieren. Dieses konnte nicht ferner von der Vorstellung sein, Heller säße klammheimlich auf dem Boden eines Ateliers und hämmere Nägel in ein paar Besenstile, um sie daraufhin zumindest in Bezug auf die Signatur dem berühmtesten und teuersten Enfant terrible der modernen Kunst Jean-Michel Pasquiat um den Preis von Lebenseinkünften einfacher Menschen ins künstlerische Portfolio zu schieben.
Und doch erfahren wir gerade, das genau das passiert ist. Und in Folge, wie eine Lichtgestalt, die auch bei allen Nichtinsidern des Betriebs für das Vertrauen in die gesellschaftliche Wirksamkeit der Kunst hochstilisiert werden konnte, an ihren eigenen Widersprüchen zerbricht.
Es gehört zu den herausragenden journalistischen Leistungen des Falter-Journalisten Matthias Dusini, diesen Fall ins Rollen gebracht zu haben. Neben vielen anderen hat zuletzt der Kunstmarkt-Experte Otto Hanns Ressler auf die Verteidigungshaltung Hellers reagiert, wonach es sich bei der Aktion um einen „kindischen Streich“ gehandelt hätte. Er kommt dabei zum Schluss, dass der künstlerische Anspruch, jede Formatierung zu überschreiten, das eine ist. Das andere aber, sich auf immer neue Weise auf das „wenn“ zu einigen.
Würde die Übertretungslust von Künstler*innen absolut gesetzt, dann hätte das nicht nur negative Konsequenzen für den handelnden Künstle bzw. die handelnde Künstlerin selbst, die unsanft auf die Macht bestehender Regeln hingewiesen werden (Fälschung ist und bleibt ein Rechtsvergehen). Sie befördert auch die Zerstörung eines künstlerischen Ambientes (Kunstmarkt), der überhaupt erst die Grundlage dafür bildet, dass künstlerische Freiheiten in Anspruch genommen werden können: „Für den Kunstmarkt sind Fälschungen dasselbe, wie Korruption für die Politik. Fälschungen zerstören vertrauen. Fälschungen zerstören die Freude an Kunst. Der Kunstmarkt ist nämlich nicht, was viele zu glauben scheinen, der Ort, wo es nur ums Geld, Spekulation und Giert geht. Der Kunstmarkt ist der Ort des ununterbrochenen Austauschs über die Frage, was Kunst ist – und was sie uns wert ist. Es ist der Ort, an dem philosophiert, debattiert und gestritten wird. An diesem Austausch nehmen auch nicht nur Sammler und Galeristinnen teil, nicht nur Kuratorinnen und Galeristinnen, nicht nur Kunstvermittlerinnen und Kunstliebhaber, sondern im Grunde alle Menschen, die in Museen gehen, Ausstellungen besuchen und, von mir aus, Flohmärkte.“
Ich interpretiere Resslers Kunstmarkt-Definition als eine Einladung an die vielen, sich über das „wenn“ zu verständigen. Im intensiven Austausch miteinander könnte es sein, dass wir über alles überstrahlende Schöpfer von Kristallwelten gar nicht mehr bedürfen.
Eine signifikante Stimme aus der Kulturpolitik, der willens oder in der Lage wäre, den aktuellen Fall in Bezug auf das Verhältnis von Kunstbetrieb und Gesellschaft zu analysieren, ist mir bislang entgangen.