Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
Musik steigert das Wohlbefinden – oder was
In regelmäßigen Abständen werden Studienergebnisse veröffentlicht, die belegen wollen, dass „Musik“ das Wohlbefinden steigt. Zuletzt will ein interdisziplinäres Team der Universität Wien herausgefunden haben, dass Musik in der Lage wäre, die aktuellen Krisenerscheinungen für ihre Zuhörer*innen besser aushaltbar zu machen. So heißt es in einer Aussendung: „Wurde Musik im Alltag gehört, so berichteten die Teilnehmenden anschließend geringere Stresswerte, eine verbesserte Stimmungslage und mehr Energie, selbst wenn das Musikhören bereits mehrere Stunden zurücklag“.
Und ich frage mich, warum ich bei solchen Erzählungen immer ganz unruhig werde. Man muss ja nicht gleich an Amy Whinehouse und an andere Musiker*innen denken, die gerade wegen oder trotz ihrer engen Beziehung zu ihrer Musik am Leben gescheitert sind. Aber um radikalere Ansprüche an Musik geht es in diesen Studien offenbar gar nicht. Sondern um das Hochstilisierung vor allem von Klassischer Musik, die im Einvernehmen mit einer affirmativen Wissenschaft noch einmal zum gesellschaftlichen Wohlfühlfaktor hochstilisiert werden soll.
Auf der Strecke bleibt dabei zweierlei: Erstens die Vorstellung von Musik als einer spezifischen Ausdrucksform, die das mit ihrem ästhetischen Ausdrucksvokabular sinnlich wahrzunehmen vermag, was gesellschaftlich der Fall ist. Und damit nicht auf beschönigende Ablenkung setzt, sondern auf eine Verknüpfung von Kunst und Leben. Mit all dem, was dieses ausmacht. Und damit genau die Krisen spiegelt, die unsere Wirklichkeiten durchziehen.
Und zweitens die Ruhigstellung der von Krisen Betroffenen durch Musik. Den Studienautor*innen ist mit solchen Aussagen offenbar gar nicht mehr bewusst, wie brisant die politische Botschaft ist, die sie als „organische Intellektuelle“ (Gramsci) vermitteln: dass es den Menschen – ohne jede politische Aktion – gleich viel besser geht, wenn sie nur ausreichend Musik hören.
Es war zuletzt viel von neuen Versuchen die Rede, Kunst und Wissenschaft für neue Kooperationsformen zu gewinnen. Solche Beiträge erzählen davon, dass diese nicht automatisch einen Mehrwert liefern. Sondern auch nach hinten los gehen können.
Etwa, wenn Wissenschafter*innen sich erst gar nicht darum bemühen, den Gegenstand ihres Forschungsinteresses, in dem Fall „Musik“, als ein komplexes ästhetisches Ausdrucksmittel in seiner ganzen Vielfalt ernst zu nehmen und stattdessen zu seiner Stereotypisierung beizutragen. Und auch der Umstand, dass den beteiligten Wissenschafter*innen offenbar jedes politische Bewusstsein fehlt, um überhaupt auf die Idee zu kommen, der Umgang mit „Musik“ könnte als lebenserleichternde Ersatzhandlung in gesellschaftlichen Krisen herhalten, macht ihren Status unabhängiger Beobachter*innen zunichte. Und zu Bestätiger*innen derer, die aus den aktuellen Krisenerscheinungen Nutzen ziehen.
Persönlich beobachte ich an mir, dass ich immer dann, wenn es mir schlecht geht aufhöre, Musik zu hören. Weil ich sie nicht mehr ertrage. Und noch weniger dieses verdummende Gelaber, das sich als Wissenschaft tarnt.