Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
Teodor Currenztis als Lackmustest des Kulturbetriebs?
Im Rahmen seiner Programmvorstellung hat der Intendant des Wiener Konzerthauses Matthias Naske bekannt gegeben, sich vom Stardirigentern Teodor Currentzis zumindest mittelfristig trennen zu wollen: https://www.derstandard.at/story/2000144727349/konzerthaus-wien-will-202324-beziehungen-moderieren
Als Hauptgrund führte Naske das anhaltende Schweigen von Currenztis zur russischen Aggression in der Ukraine an. Zum Unterschied zu Markus Hinterhäuser, der in Salzburg ungebrochen an der Fortsetzung des Engagements festhält.
Über Currenztis Scheigen existiert mittlerweile ein breiter Interpretationsspielraum; die Vermutungen reichen vom Bedürfnis des Dirigenten, “seine” russischen Kolleg*innen von Musica aeterna schützen zu wollen über Vorteile, die ihm das Putin-Regime nach wie vor gewähren würde bis zur Selbststilisierung zu einer unangreifbaren Künstlerfigur, die sich gefeit weiß von den Niederungen der Politik.
Demnach scheint es, als würden in der Behandlung von Teodor Currentzis ganz unterschiedliche Beurteilungskriterien aufeinander treffen, die es lohnt, etwas genauer auseinander zu halten.
Da ist einerseits das Prinzip der Freiheit der Kunst, das sich im wesentlichen auf kunstimmanente Qualitätskriterien stützt, es also irrelevant erscheinen lässt, welche politischen oder sonstigen Haltungen den/die ausführende/n Künstler*in umtreiben, Hauptsache er oder sie machen “gute Kunst”.
Und da ist andererseits die Einschätzung, Künstler*innen käme eine besondere Vorbildwirkung zu; sie stünden kraft ihrer künstlerischen Fähigkeiten für ein “besseres Leben”, das es gälte, in zumindest symbolischer Weise den Menschen zu vermitteln. Ihre moralisch-herausragende Haltung übertrüge sich auf ihr künstlerisches Schaffen, man könne es also hören und sehen, was die Ausführenden auch außerkünstlerisch prägt.
Und dann ist da noch eine ganz pragmatische Erklärung. Der zufolge käme eine traditionsreiche, bürgerlichen Werten verpflichtete Vermittlungseinrichtung wie das Wiener Konzerthaus spätestens dann an das Ende des Kampfes um die Freiheit der Kunst, wo wesentliche Geschäftsinteressen tangiert werden; sei es, dass zumindest Teile des Publikums mit vermeintlichen Putin-Schützlingen nichts zu tun haben wollen, genialische Interpretationen hin oder her. Oder sei es, dass potentielle Sponsoren sich nicht mehr engagieren wollen für jemanden, der nicht bereit ist, sich klar für die Verteidigung einer souveränen Ukraine auszusprechen. und dazu alle Beteiligten “auf Linie” zu bringen.