Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
Erinnerung an Archim Benning als kulturpolitischer Akteur
“In memoriam Archim Benning” – ein Film von Kurt Brazda – ein kulturpolitischer Rekonstruktionsversuch
Claus Peymann hat als Burgtheater-Direktor (1986 – 1999) Geschichte geschrieben. Von der damaligen sozialdemokratischen Unterrichts- und Kunstministerin Hilde Havlicek bestellt, gelang es ihm, sich als umfassender Erneuerer eines verstaubten Betriebs zu positionieren: Das Publikum sollte radikal verjüngt werden, raus mit den alten Damen mit den Perlenketten, hinein mit den Jeans tragenden Student*innen. Dazu stilisierte er sich ästhetisch als umfassender Förderer der österreichischen Gegenwartsliteratur (Bernhard, Jelinek,…) und politisch als Speerspitze gegen den Aufstieg Jörg Haiders und seiner Buberlpartie.
Von diesem Image zehrt Peymann bis heute, wenn ihm ein in die Jahre gekommenes Publikum in der Josefstadt in Erinnerung der guten alten Zeiten zu Füßen liegt.
Der Tod seines Vorgängers Archim Benning ist für Kurt Brazda eine Möglichkeit, dieser Interpretation eine andere Erzählung hinzuzufügen. Die Erzählung über einen klugen, kritischen und sehr politischen Schauspieler, Theaterdirektor (1976 – 1986) und Zeitgenossen, der die kulturpolitische Aufbruchsstimmung der 1970er Jahre wesentlich mitgeprägt hat. Als einen, der in der damaligen Aufbruchsstimmung um die Prekarität seiner Institution wusste und gerade daraus versuchte, ihr eine neue Legitimation zu verleihen (etwa im Bemühen um Autoren jenseits des großen weltanschaulichen Zauns)
Brazda gelingt mit diesem differenzierten Portait (zusammen mit Mercedes Echerer) ein Stück Zeitgeschichte lebendig werden zu lassen, deren kulturpolitische Wortführer*innen sich nicht von der Profilierungswut eines manischen Selbstdarstellers haben leiten lassen sondern von einem umfassenden gesellschaftspolitischen Anspruch der Vielen, dessen dauerhafter Verlust heute jegliche Perspektive verbaut.
Benning hat etwas zu sagen, er beklagt den Opportunismus, der auch Österreichs Kulturbetrieb beherrscht. Und er verweist auf die heutigen kulturpolitischen Handlungsfelder, die ebenso auf der Bühne des Burgtheaters zu finden sind wie an den EU-Aussengrenzen, wo die ganze Kulturlosigkeit des europäischen Projektes offenbar wird.
Brazda gelingt mit seinem Film ein Akt der “Wiedergutmachung”.
Jedem und jeder kulturpolitisch Interesse/n ans Herz gelegt: https://tv.orf.at/program/orf3/inmemoriam606.html