Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
Der Kulturbetrieb als Arrieregarde – Nicht-Konsum als Kulturleistung
Die Dokumentation der NDR “Gegen des Schweigen – Machtmissbrauch bei Theater und Film” hat zuletzt – zumindest in Teilen der Kulturszene für einige Aufregung gesorgt: https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL25kci5kZS9wcm9wbGFuXzE5NjMzOTYxM19nYW56ZVNlbmR1bmc
Wir – die im Kulturbetrieb tätig sind und an dessen Weiterentwicklung interessiert – können gar nicht dankbar genug sein gegenüber den mutigen Stimmen, die sich in der Abwehr aller Arten von Missbrauch, die sie am eigenen Leib erfahren haben an die Öffentlichkeit wagen (Dass der Bericht außerhalb des Kulturbetriebs keinerlei Diskussion auslöst, spricht nicht eben für die große Bedeutung, die er sich selbst zupricht)
Dabei sollten wir uns eingestehen, dass es sich nicht um eine Anzahl von Einzelfällen handelt, sondern um ein Strukturproblem. Dessen Kern besteht darin, dem Kulturbetrieb kultur-politisch viel zu lange eine Verortung jenseits der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zugestanden zu haben, die sich jetzt bitter rächt (frei nach dem Motto: Ihr könnt auf Eurer Spielwiese machen, solange es ohne Wirkung bleibt auf die gesellschaftlichen Realitäten).
So wenig wahrscheinlich es ist, dass Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche aufhören wird, solange sich undemokratische ausschließlich männlich besetzte Hierarchien mit verlogener Sexualmoral paaren, so wenig wahrscheinlich ist es, dass in einem Klima, in dem noch immer der Geist der Genies des 19. Jahrhunderts die kulturbetrieblichen Hallen durchströmt, sich dort Methoden einer modernen, auf persönliche Integrität setzende Betriebsführung durchsetzen werden.
Als solcher verdeutlicht der Film eine überkommene Haltung, die weit eher in die Vergangenheit einer autoritären und antidemokratischen Epoche als in eine auf Emanzipation aller Beteiligten gerichtete Zukunft verweist.
Die Kulturpolitik ist zu kritisieren, dass sie mit dem Verweis auf künstlerische Autonomie keinerlei Incentives in Richtung betriebliche Transformation gesetzt hat. Sie hat sich statt dessen mit den Begünstigten dieses Systems in der Öffentlichkeit profiliert, ohne die negativen Konsequenzen für den großen Rest der künstlerischen und auch nicht künstlerisch tätigen Belegschaften mitzubedenken.
Ja, einzelne führende Akteure wie Manker oder Pölsler mögen als integre Persönlichkeiten gescheitert sein. Der Skandal aber liegt zualler erst dort, wo sie in ihrem Fehlverhalten kulturpolitisch unterstützt, jedenfalls advokativ für die abhängig Beschäftigten nicht rechtzeitig klar in die Schranken gewiesen wurden. Die Aufrechterhaltung eines schönen, wenn auch vergilbten Scheins war wichtiger als das Schicksal der dahinter Tätigen.
Stephanie Panzenböck weist in ihrem Falterbeitrag dieser Woche noch auf einen wichtigen Aspekt hin:
Ja, im Gegensatz zum großen Rest der Gesellschaft, die seit mehr als hundert Jahren die Bedeutung der Konsument*innen betont, definiert sich der Kulturbetrieb ungebrochen ausschließlich produktionsseitig, um so eindrucksvoll seine Unzeitgemäßheit zu behaupten.
Die Macht der Konsument*innen bleibt außen vor. Und doch sind sie es mit ihren Entscheidungen, inkriminierte Produktionen zu konsumieren oder nicht, in der Hand haben, die seit Jahrzehnten bekannten Fehlentwicklungen von einem Tag zum anderen zu beenden: https://newsletter.falter.at/nVo1MP4hOn7s4
Nicht konsumieren als Kulturleistung….