Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
10/03/2024
Über die eigentliche kulturpolitische Priorität: Kunst von wem, für wen, mit wem?
Es gehört zu den großen unausrottbaren Missverständnissen einer Kulturpolitik in einer demokratischen Gesellschaft, darauf zu beharren, ihre zentrale Aufgabe bestehe in der Herstellung und Sicherstellung von künstlerischer Qualität.
Ein Blick in ein beliebiges Handbuch der Kunsttheorie würde genügen, um dieses Bemühen als illusorisch zu verwerfen. Spätestens mit den Avantgarden des 20. Jahrhunderts ist jeder Versuch, künstlerische Qualität unabhängig von ihrem Kontext zu objektivieren, zum Scheitern verurteilt: Wenn prinzipiell alles Kunst sein kann, dann ist die öffentliche Hand (samt ihren Jurien und Beiräten) wahrscheinlich die ungeeignetste Instanz, um gute Kunst von schlechter zu unterscheiden ( wohl der eigentiche Grund, warum sie sich so schwer tut, Förderentscheidungen inhaltlich zu begründen).
Im naiven Beharren auf ihrem kulturbetrieblichen Richterstuhl bestätigt sie einen status quo, der einer kleinen Minderheit eine Spielwiese offenhält, in der Kunst verhandelt wird. Alle verfügbaren Daten bestätigen, dass die einzige Wirkung von Kulturpolitik darin besteht, ein weitgehend hermetisches System aufrecht zu erhalten, das eine ohnehin privilegierte soziale Gruppe mit staatlichen Mitteln nochmals privilegiert. Während alle anderen draußen bleiben sollen.
Aus dieser Sicht wäre es vorrangige Aufgabe von demokratischer Kulturpolitik, endlich ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden. Nein, es geht nicht darum, die Defizite von Sozialpolitik zu kompensieren. Aber es geht darum, ihre Maßnahmen so auszurichten, dass sie Kontexte schafft, in denen künstlerische Produktion und Rezeption nicht zur Verschärfung sozialer Ungleichheit beitragen sondern sich darin bewußt zu verorten.
Alara Yilmaz ist es zu verdanken, dass sich sie noch einmal kritisch dem ungebrochen elitären Charakter von Kunstuniversitäten genähert hat. Immerhin sind sie so etwas wie das Nadelöhr bei der Positionierung des Kunstbetriebs in Zeiten wachsender sozialer Ungleichheit.
Und das, was ich aus ihrer Reportage herauslese macht mich nicht froh. Vielmehr erzählt sie ungebrochen von einem mangelnden sozial-politischen Bewußtsein der handelnden Akteur*innen. Das ist umso bedenklicher, wenn sich die Ein- und Ausschlusskriterien in den letzten Jahren nochmals wesentlich verschärft haben. Etwa, wenn eine Erbengeneration aus dem Mittelstand dahingehend privilegiert wird, sich vor dem Berufsteintritt noch einmal ein paar Jahre an einer Kunstuniversität auszuprobieren und dabei auf eine garantierte Finanzierung durch eine zu Wohlstand gekommene Elterngeneration zurückgreifen kann. Junge Menschen hingegen, die ihr Leben an der Armutsgrenze ausrichten, sind erheblich benachteiligt.
Yilmaz hätte immerhin erwähnen können, dass Kunstuniveritäten (ganz im Geist kirchlicher Patronage früherer Zeiten) einige wenige unbemittelte junge Menschen dabei unterstützen, sowohl die materiellen aber auch affektiven Barrieren zu überwinden, die sie hindern, eine künstlerische Ausbildung zu beginnen.
Und dann gibt es ha noch die “Klasse für alle”: https://klassefueralle.uni-ak.ac.at/