Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
10/07/2024
Kitsch und Kunst – Wenn sich entlang Monteverdis L’Orfeo zwei diamtral unterschiedliche ästhetische Zugänge verbinden
Als Student hatte ich noch das Glück, bei Gerhard Kappner ein Seminar über Ästhetische Theorie zu besuchen. Der legendäre Erwachsenenbildner erzählte einmal von einem Konzert eines Pianisten vor Arbeiter*innen. Diese wären nach der Aufführung vor allem überwältigt gewesen von der Fingerfertigkeit des Musikers, entlang seiner manuellen Geschicklichkeit hätten sie nachvollziehen können, was der Künstler drauf hat.
Diese Geschichte ist bei mir hochgekommen anlässlich einer Aufführung von Monteverdis L’Orfeo im Rahmen der styriarte ( https://styriarte.com/produktionen/l-orfeo ). Die szenische Produktion war begleitet von einer Sandmalerin, die die Musik simultan mit ihren sich ständig ändernden Bildern interpretierte.
Sichtbar wurde eine große handwerkliche Fähigkeit. Im Nu entstand ein Orfeo samt Lyra aus Sand mitten in einer stilisierten antiken griechischen Landschaft, dann ineinander fließend der Sänger am Eingang zur Unterwelt, die von Charon bewacht wird, schließlich die beiden Liebenden Orfeo und Eurydice, die einander auf immer verloren gehen.
Dieweil spielten die Musikerinnen vom Art House Orchester, sangen die Sängerinnen und dirigierte sich der Dirigent Michael Hell die Seele aus dem Leib. Und es wurde eine musikalisch überzeugende, heftig akklamierte Aufführung. Den größten Applaus aber erhielt Natalia Moro, die den Sand zu naiven Bildern geformt hat.
Und nicht nur in mir entstand ein Gefühl des Widerspruchs: Was für eine hochkomplexe Musik aus der Renaissance wurde hier der simplen Anschauung geopfert, ist in mir hochgekommen. Wenn Iris Vermillion als Todesbotin mit unmittelbar mit dem eigenen Ede konfrontiert, dann will ich das nicht in dieser Form bebildert erfahren, ging mir durch den Kopf (und bildlich abgelenkt nicht mehr durchs Herz).
Und doch lag ich damit quer zu weiten Teilen des Publikums. Sie hatten kein Problem mit dieser Form der Verbildlichung einer musikalischen Anschauung; Ihnen hat die Kombination einfach gefallen, ja sie waren begeistert. Und handwerklich gut waren ja sowohl die Musiker*innen als auch die Sandmaler*innen, die Musiker*innen haben darüber hinaus versucht, ein 400 Jahre altes Kunstwerk lebendig werden zu lassen.
Die Strategie der styriarte, mit neuen Formaten ein neues Publikum anzusprechen, ist auf dem Weg.