Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
Die Freiheit der Kunst – Warum sie für Künstler*innen etwas anderes bedeutet als für die Rezipient*innen
In der jüngsten ex libris Sendung auf OE1 ( https://www.youtube.com/watch?v=VzGLl41ZrB4 ) lernte ich die Autorin Anna Baar kennen.
Im Lauf der Sendung sprach Petra Morzé u.a. ihren Text “Und aus fast jeder Wolke fällt irgendwann ein Meister”.
Und ich blieb hängen bei den Sätzen:
“Die Freiheit der Kunst deckt das Werk, aber nicht den Betrachter. Das gilt für alle Sparten. Das Ich als Reagenz und variable Größe macht das Urteil unfrei, da, was wir in einem Werk zu erkennen meinen, auf uns selbst zurückgeht, nur die Resonanz ist, die es in uns auslöst. Über allem liegt die Möglichkeit des Irrtums. Wer sich dem Objekt seiner Kritik nicht hinzufügt, sich darin nicht zugibt, beklagt in ihm womöglich sein eigenes Scheitern”.
In erster Konsequenz hab ich mir den Band “He, Holde Kunst” besorgt, schon dessen Titel davon zeugt, dass Baar nicht mehr gewillt ist, zwischen hoher und niederer, U- und E-Kunst zu unterschieden, zumal ausschließlich die Erfahrung des/der Rezipient*in darüber entscheidet welche Bedeutung sie erlangt.
In zweiter habe ich begonnen, nochmals darüber nachzudenken, was der Anspruch der Freiheit der Kunst für Betrachter*innen bedeutet. Um in Baars wenigen Sätzen ein Kontrastprogramm zu einem konsumistischen Rezeptionsverhalten zu erkennen.
Weil sie die Verantwortung bei denen einfordert, die sich Kunst aussetzen, um bei jeder Anschauung mitzubedenken, mit welcher Brille sie sich dem Kunstwerk nähern bzw. den Umstand, dass sie garnicht anders können, als ihre persönlichen Lebenserfahrungen zum Ausgangspunkt ihrer Kunstbetrachtung zu machen.
Das spricht gegen die Idee von Unmittelbarkeit des sinnlichen
Eindrucks, den Kunst im Menschen auslöst. Und trägt doch der Erkenntnis Rechnung, dass wir keine leeren Gefäße sind, in die Kunst hineinwirkt. Sondern die Erfahrung von Kunst mit unserer Lebensgeschichte – ob wir wollen oder nicht – immer mitgestalten. Wir sehen also nicht nur, was wir wissen (Bazon Brock) sondern wir sehen, was wir sind.
Die Freiheit der Kunst beim/bei der Betrachter*in besteht dann darin, sich in einem Akt der Emanzipation selbst für zuständig zu erklären und damit der Kunst den Inhalt zu geben, der ihren Individualitäten (und Kollektivitäten) entspricht.
Und die Hoffnung zu begraben, die Künstler*innen werden es schon machen.
https://www.glanzundelend.de/Red23/A-C/anna_baar_he_holde_kunst.htm