Wimmer’s Kommentar
Michael Wimmer bezieht in seinen Kommentaren regelmäßig Stelllung zu den neuesten Entwicklungen in Kultur, Bildung und Politik.
Ergänzt werden diese durch eigene Begegnungen und Erlebnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Dozent, Autor und Berater.
14/10/2024
Undemokratische Emotionen – Ein Spiegel aus Israel
Als Nichtjude ist es gefährlich geworden, sich zum Nahostkonflikt zu äußern. Die Zensur der veröffentlichten Meinung hat gegriffen: Überall lauert die Antisemitismus-Keule, die jeden Versuch einer differenzierten politischen Analyse der ungleichen politischen Verhältnisse zwischen Israel und seinen Nachbarn im Keim erstickt.
Und so auch an dieser Stelle das Bekenntnis, dass eine einseitige postkoloniale Parteinahme für alles, was Hamas, Hisbollah und andere kriegsführende Parteien tun, einfach falsch weil menschenverachtend ist. Und die Betroffenen in Israel, aber auch in Gaza, im Westjordanland und allen übrigen Nachbarländern jedes Mitglied verdienen, wozu wir fähig sind.
Aber vielleicht sollten sich Nichtjuden einfach beschränken, zum aktuellen Konflikt gar nichts mehr zu sagen, ganz einfach, weil uns die unmittelbare Betroffenheit fehlt, dort wo mentale und physische Grenzen engegengesetzter Dominanzansprüche gepaart mit unerträglichem Leid seit mittlerweile Jahrzehnten das Leben bestimmen.
Und doch bin ich zuletzt auf einen aufrüttelnden Bezug gestoßen: Die israelische Soziologin Eva Illouz, ansonsten Expertin der Liebe in Zeiten des Kapitalismus hat sich in ihrer Studie “Undemokratische Emotionen” daran gemacht, den Zustand der israelischen Gesellschaft samt ihrer politischen Entsprechung zu analysieren. Und findet dort all die – auch Europa im Kern betreffenden – Ingredienzen populistischer Herrschaft, die sie entlang von Angst, Abscheu, Identität und Liebe (zu den eigenen) durchdekliniert.
Und so entsteht ein differenziertes Bild eines weit fortgeschrittenen Populismus, der mittlerweile in Israel derart dominant geworden ist, dass er demokratische Standards unterminiert. Wenn etwa dem (nachvollziehbaren) Sicherheitsbedürfnis elementare Menschenrechte untergeordnet werden; wenn arabische Bürger*innen des Landes, als “die Schmutzigen” systematisch diskriminiert werden, ja, wenn die Herkunft von jüdischen Zuwander*innen deren Stellung in der Gesellschaft prägt, dann zeigen sich die Konturen einer Politik, die auf immer mehr Gewalt nach innen ebenso wie nach außen zusteuert. Und die Zuschreibung Israels als ein demokratischer Staat in Frage stellen.
Diese Ausformung von Populismus, den Illouz hier ausbreitet, gibt einen Vorgeschmack darauf, was dieser auch in Europa bewirken könnte: Krieg als Organisationsform von Gesellschaft, die jedwede demokratische Ansprüche zugunsten einer scheinbar alternativlosen Herrschaftsform ohne Aussicht auf ein friedliches Ende eliminiert.
Um auf tragische Weise mitzuverfolgen, dass der Krieg zwei Konfliktpartner, die einst von ganz unterschiedlichen Gesellschaftsmodellen aufgebrochen sind, einander immer ähnlicher macht. Und Unterdrückung, Diskriminierung, Terror, Angriff und Verteidigung nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.
Eva Illouz Analyse mag ich dringend zu empfehlen. Nicht um Partei zu ergreifen, sondern die mit diesen Akteuren unaufllöslichen Widersprüche besser zu verstehen.
Auszuhalten sind sie deshalb noch lange nicht.