Wimmer’s Blog
Michael Wimmer regularly writes german blogs on relevant topics in and around the cultural field. On the basis of personal experiences he dedicates himself to current events as well as fundamental questions in culture, education and politics.
Ein Kulturbetrieb für die Kunst oder ein Kulturbetrieb für die Menschen – Die Kulturpolitik hat die Wahl
In seiner lesenswerten Studie „Musicking“ geht der neuseeländische Musiklehrer, Chorleiter und Komponist Christopher Small der Frage nach der Bedeutung von Musik in der Gesellschaft nach. Darin geht er von der These aus, dass man nicht wirklich über „Musik“ als etwas in sich Abgeschlossenes und damit für sich Stehendes sprechen kann. Mit diesem Ansatz, Musik in den gesellschaftlichen Verhältnissen zu verankern, war er mir bei meinem Bemühen, mich selbst im Musikgeschehen zu verorten, eine große Argumentationshilfe.
In seinen Überlegungen beschreibt er „Musik“ als Prozess, der es Menschen ermöglicht, miteinander zu kommunizieren: „There is no such thing as music. Music is not a thing at all but an activity, something that people do. The apparent thing ›music‹ is a figment, an abstraction of the action, whose reality vanishes as soon as we examine it at all closely.” Was Menschen machen, wenn sie in eine Beziehung zu Musik treten, das nennt Small „to music”, damit spricht er von etwas, was weit über „to make music“ oder- in seiner deutschsprachigen Entsprechung – „musizieren“ hinausreicht.
Eine solche Sicht auf Musik bricht sich freilich fundamental an einem (klassischen) Musikbetrieb, der seit über hundert Jahren das musikalische Werk zum Maß aller Dinge erklärt hat. In seinen Settings bleibt es einer säkularen Priesterkaste vorbehalten, Hand an dieses Werk zulegen, es zum Klingen zu bringen, während alle anderen auf die stumme Rolle von Zuhörer*innen verwiesen sind. Small aber möchte alle, nicht nur die Musiker*innen in den Act des „musickings“ mitdenken und einbeziehen.
Um den nach wie vor vorherrschenden kategorialen Unterschied zwischen Ausführenden und Publikum auch räumlich deutlich zu machen, hat der Kulturbetrieb eine strenge architektonische Trennung vorgenommen. Diese stellt sicher, dass beide Seiten einander physisch tunlichst nicht begegnen. Ihre gegenseitige Wahrnehmung beschränkt sich auf den Blickkontakt über die unübersteigbare Bühnenrampe hinweg. Sie soll sicherstellen, dass die beiden Akteur*innengruppen einander nicht zu nahekommen. Selbst für das Betreten und Verlassen des Gebäudes, in dem „Musik“ stattfindet, sind unterschiedliche Ein- und Ausgänge vorgesehen; Künstler*innen und Nicht-Künstler*innen sollen dauerhaft auf Distanz gehalten werden, um so den unterschiedlichen Zugang zu Musik zu betonen.
Es war einmal: Über eine vergessene Tradition der Geselligkeit, bei der sich Künstler*innen und Nicht-Künstler*innen auf Augenhöhe begegnet sind
Das war nicht immer so. Aber es gehört offenbar zur vorherrschenden Erzählung über die einzig und daher scheinbar ewig gültige Art und Weise, vor allem Klassische Musik aufzuführen. Und doch war es noch vor 200 Jahren selbstverständlich, dass den Besucher*innen ein wesentlich aktiverer Part zugedacht war. In diesen Settings war „Musik“ ein Bestandteil der Kommunikation in einer Gruppe, die zusammengekommen ist, um miteinander zu sprechen, zu feiern, miteinander in Beziehung zu treten und sich dabei musikalisch oder theatralisch zu unterhalten. Eine strikte räumliche Trennung zwischen ihnen und den Musiker*innen wäre ihnen befremdlich, wenn nicht gar ausschließend vorgekommen. Dazu kommt, dass die dargebotene Musik den meisten Besucher*innen nur zu vertraut war. Die meisten verfügten selbst über musikalische Fähigkeiten, viele spielten selbst ein Instrument oder sangen. Entsprechend sahen es Komponisten als ihren ersten Auftrag, ihre Stücke an den Möglichkeiten dieser Dilettant*innen anzupassen und bei den Aufführungen nicht ausschließlich auf einige wenige Profi-Künstler zu vertrauen. Ensembles, die sich aus Dilettant*innen und Profis zusammensetzten, waren an der Tagesordnung. Musik machen und Musik zu rezipieren waren also alles andere als unüberwindliche Gegensätze.
„Musicking“ im 18. Jahrhundert war also ein Akt der Geselligkeit und Vergemeinschaftung, dessen besonderer Reiz in der permanenten Vertauschung von Rollen lag, jedenfalls allen Beteiligten die Möglichkeit bot, am musikalischen Geschehen aktiv mitzuwirken und dieses mitzugestalten.
Von dieser Attitüde ist – zumindest im verbleibenden hegemonialen Anspruch des klassischen Kulturbetriebs – kaum etwas übriggeblieben. Spätestens mit dem Überhandnehmen eines Virtuosentums begann ein sozialer Entfremdungsprozess, der die einen ins gleisende Bühnenlicht tauchen wollte, während sich all diejenigen, die bislang die Hauptrolle gespielt hatten, sich in Reih und Glied eingezwängt wiederfanden, um sich fortan mit ihrer stummen Rolle im Dunklen zufriedengeben sollten.
Für die Befriedigung ihrer kommunikativen Bedürfnisse wurden „kunstfreie“ Foyers geschaffen. Dort durften die Besucher*innen in den Pausen zwar über die Künstler*innen sprechen, in keinem Fall jedoch mit ihnen. Dass für die Organisation dieser künstlerischen Ereignisse noch eine Menge weiterer Menschen sorgen müssen, bleibt in der öffentlichen (und damit auch kulturpolitischen) Wahrnehmung bis heute gleich ganz ausgeklammert – und doch leisten sie hinter der Bühne entscheidende Arbeit, um die Begegnung zwischen Künstler*innen und Nicht-Künstler*innen zu ermöglichen und sind somit Teil von „musicking“.
Die Welt von gestern revisited: Klassische Formate sind für eine bürgerliche Gesellschaft geschaffen worden. Blöd halt, dass es diese heute nicht mehr gibt…
Nun mag eine solche Form der gewaltsamen Trennung zwischen Künstler*innen und Nicht-Künstler*innen den Bedürfnissen eines aufkommenden Bürgertums im 19. Jahrhundert entsprochen haben, das sich in seinen Held*innen auf der Bühne wiedererkennen wollte. In der zunehmend alle Lebensbereiche beherrschenden Logik der Arbeitsteilung kam einer prädestinierten Gruppe von Künstler*innen die Aufgabe zu, Kunst zu machen. Um das Geschehen auf der Bühne hinreichend rezipieren zu können, mussten die Bürger*innen im Zuge der familiären und schulischen Erziehung immer spezifischer vorbereitet, diszipliniert, konditioniert und trainiert werden. Nur so war es möglich, das Rezeptionsvermögen an die jeweils aktuelle, immer komplexer werdende Kunstpraxis anzupassen und sich gegenüber den „kulturlosen Ignorant*innen“ als kundiges Publikum auszuweisen.
In der Rückschau ist nur schwer verständlich, wie sich der Anspruch einer kategorialen Trennung zwischen aktiv Gestaltenden und passiv Rezipierenden ausgerechnet im Kulturbetrieb unter demokratischen Vorzeichen so lange halten konnte. Und doch funktionieren bis heute weite Teile des Kulturbetriebs ungebrochen nach den Regeln des 19. Jahrhunderts, die in (fast) allen anderen Teilen der Gesellschaft weitgehend überwunden erscheinen. Eine der Gründe könnte in der nie überwundenen Produktionslastigkeit einer Kulturpolitik liegen, die bislang wenig Initiative gezeigt hat, wenn es darum ging, den Beharrungskräften eines überkommenen Kulturbetriebs Paroli zu bieten.
Autoritäre Regime als Nutznießer und Verstärker des bürgerlichen Kulturbetriebs
Eine der Gründe könnte die nie überwundene Produktionslastigkeit einer Kulturpolitik sein, die bislang wenig Initiative gezeigt hat, wenn es darum ging, den Beharrungskräften eines überkommenen Kulturbetriebs Paroli zu bieten. Jene strukturelle Schwäche mag darin liegen, dass sich die autoritären Regime des 20. Jahrhunderts nur zu gerne eines Kulturbetriebs bedient haben, dessen Betriebsgrundlagen mit seiner Gründung darin bestanden haben, sich demokratischen Errungenschaften zu verweigern. Immerhin eignete sich das feudale Gedankengut einer naturgegebenen Trennung zwischen einigen wenigen Repräsentant*innen von Kultur und den vielen Kulturlosen in herausragender Weise für die Legitimation autoritärer Herrschaftsformen.
Dies kann idealtypisch am Beispiel der Begriffsbildung und Verankerung von sogenannten „Kulturorchestern“ in der nationalsozialistischen Kulturpolitik verdeutlicht werden. Versehen mit dem Auftrag, eine alle anderen überragende deutsche Musikkultur zu pflegen, dienten sie den nationalsozialistischen Ideologen als eine naturhaft vorgegebene Trennlinie, um alle anderen musikalischen Ausdrucksformen zu diskriminieren. Den führenden Kulturpolitikern war es ein besonderes Anliegen, mit der systematischen Bevorzugung der auf (politisch ungefährliche) klassische bzw. romantische Musik festgelegte “Kulturorchester” den Großteil des übrigen Musiklebens abzuwerten bzw. als “entartet” zu diskriminieren. Der deutsche Musikwissenschaftler Lutz Felbick hat dazu für seinen Beitrag „Das ‚hohe Kulturgut deutscher Musik‘ und das ‚Entartete‘ – Über die Problematik des Kulturorchester-Begriffs“ intensiv geforscht.
Eine solche politisch motivierte Privilegierung einiger weniger Ausgewählter war umso mehr im Sinn der nationalsozialistischen Ideologen, als bereits in der Zwischenkriegszeit eine Vielzahl neuer Formen des gleichberechtigen Zusammenwirkens von Musiker*innen außerhalb hierarchischer Orchesterstrukturen erprobt wurde. Ihre Intention war es, dem unbedingten Führerprinzip im Verhältnis zwischen Dirigenten und Orchestermusikern ein auf Egalität beruhendes Gegenmodell – etwa im Jazz – entgegen zu setzen. Dazu gehörte in der Regel auch ein anderes, auf gegenseitige Stimulierung gerichtetes Verhältnis zum Publikum. Dieses wollte schon damals aktiv ins musikalische Geschehen einbezogen werden, um so seine stumme und passive Rolle innerhalb des Musikbetriebs zu überwinden. Ein Verhalten, das einem autoritären und ordnungsversessenen Regime mit klarer Rollenverteilung von Oben und Unten ein Dorn im Auge sein musste.
Umso erstaunlicher erscheint es heute, dass eine darauf basierende Tarifordnung nach dem Ende der Nazi-Herrschaft weitgehend unverändert fortgeschrieben wurde. Das Ergebnis war eine in zwei Klassen geteilte Musikszene, für die das kulturpolitische Interesse nicht ungleicher verteilt sein hätte können. Und so werden bis heute unter dem Titel E-Musik das Gros der öffentlichen Mittel, darüber hinaus der überwiegende Anteil an öffentlicher Wertschätzung samt Zuschreibung eines herausragenden Bildungsanspruches einem kleinen musikalischen Segment rund um die „Kulturorchester“ zugesprochen, während alle nicht klassische Musik als U-Musik allenfalls Brosamen erhält, um ansonsten als Teil der Unterhaltungsindustrie auf den Markt verwiesen zu werden (Der Betriff „Kulturorchester“ sollte sich schließlich in den geltenden Tarifordnungen bis 2019 halten, danach wurde er halbherzig durch „Konzert- und Theaterorchester“ ersetzt, die Abkürzung „TVK“ aber beibehalten).
Spätestens mit den Auswirkungen der Pandemie mehren sich die Zweifel, ob eine solche Priorisierung knapp 80 Jahre nach der Niederringung eines nationalsozialistischen Hegemonieanspruchs noch gerechtfertigt werden kann. Zumal die Kulturpolitik zunehmend darunter leidet, über keinerlei Handlungsspielräume mehr zu verfügen, und stattdessen gezwungen ist, einen Großteil der öffentlichen Mittel an die Begünstigen aus einer Zeit, in der sich jede Idee von demokratischer Mitgestaltung verboten hat, ohne jeglichen Gestaltungsspielräume einfach weiter zu leiten.
Damit ich nicht missverstanden werde: Im großen Reigen des Musikbetriebs einer diversen, auf Vielfalt begründeten Gesellschaft soll natürlich auch klassische Musik ihren Platz haben. Dass aber ausgerechnet eine Monopol beanspruchende musikalische Organisationsform, die jegliche Ansprüche eines zeitgemäßen demokratischen Zusammenlebens fast schon ostentativ verhöhnt, ungebrochen darauf pocht, das Maß jeglicher Kulturpolitik darzustellen, sollte nach den Erfahrungen der letzten Monate klar und deutlich zurückgewiesen werden. Dies entspricht auch einer zunehmenden Erwartungshaltung selbst innerhalb der Klassischen Musik-Szene. Immer mehr der dort Beschäftigen (und an den hierarchischen Verhältnissen Leidenden) sind drauf und dran, sich von den, aus vordemokratischen Zeiten stammenden Arbeitsbedingungen zu lösen und einen für das 21. Jahrhundert fitten Kulturbetrieb neu zu denken.
Ein zeitgemäßer Kulturbetrieb auf dem Weg vom „Dienst an der Kunst“ zum „Dienst an den Menschen“
Eine solche von tradierten institutionellen Zwängen befreite Kulturpolitik könnte sich noch einmal an die Bedeutung künstlerischer Avantgarden erinnern, die seit mehr als hundert Jahren versuchen, die hierarchischen Verhältnisse des Kulturbetriebs zum Tanzen zu bringen und sich in der Gesellschaft neu zu verorten. Im Grunde laufen viele ihrer Intentionen darauf hinaus, den Dienst an der Kunst, der das bürgerliche Zeitalter bestimmt hat, durch einen Dienst an den Menschen zu ersetzen.
Dabei erscheint es erfreulich, dass sich diesbezügliche Haltungen mittlerweile nicht mehr nur am Rand des Kulturbetriebs finden, sondern mittlerweile tief selbst in ehemalige Horte des Kulturkonservativismus eingedrungen sind. So meinte zuletzt der Intendant der styriarte Mathis Huber anlässlich der Vorstellung des diesjährigen Festival-Durchgangs, der Kulturbetrieb stünde vor einer tiefgreifenden Wende, die ihn zwinge, sich im Spannungsverhältnis „im Dienst der Kunst“ und „im Dienst es Publikums“ neu zu verorten.
Seine Analyse läuft darauf hinaus, dass das klassische Repertoire für eine bürgerliche Welt verfasst worden ist, die heute einfach nicht mehr existiert. Zeitgenoss*innen von heute würden über ein anderes Wissen verfügen, andere Erwartungen pflegen und ein anderes kulturelles Verhalten an den Tag legen, das es institutionell und auch kulturpolitisch zu berücksichtigen gelte. Aber anstatt das zu tun, würden weite Teile des Kulturbetriebs alles daransetzen, die alten Verhältnisse so schnell wie möglich wiederherzustellen. Und darauf hoffen, das Publikum würde es sich im „Dienst an der Kunst“ noch einmal gefallen lassen, in Sardinenschachteln gezwungen zu werden, sich einem überkommenem Zeitregime zu fügen und sich darüber hinaus noch einmal mundtot machen zu lassen angesichts dessen, was ihnen auf den (oft nur schlecht einsehbaren) Bühnen vorgemacht wird.
Der Kulturbetrieb als Experimentierraum zur spielerischen Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme
Huber ist mit seinem Problembewusstsein bei Weitem nicht der Einzige. Auf der Suche nach der Bespielung neuer „Kultureller Öffentlichkeiten“ hat sich mittlerweile eine Vielzahl von Künstler*innen auf die Suche nach neuen Experimentierräumen gemacht, in denen mit neuen Settings und Formaten der traditionellen Produktionslastigkeit entgegengewirkt werden soll. Sie verstehen sich als Anstifter*innen neuer Partizipations- und Interaktionsformen, die allesamt, die Logik einer kulturellen Klassengesellschaft, die scharf zwischen Produzent*innen und Nutzer*innen zu trennen versucht, zu unterlaufen (als nur ein Beispiel kann das „Mitspielorchester“ der Elbphilharmonie genannten werden, wo Dilettant*innen und Profi-Musiker*innen zum gemeinsamen Musizieren zusammenfinden).
Dass eine solche, auf Egalität beruhende Herangehensweise nicht nur an die Architektur zeitgemäßer Kulturbauten, sondern auch an die künftigen Ausbildungserfordernisse einer nächsten Künstler*innen-Generation neue Anforderungen stellt, darauf kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden.
Die grassierende Produktionslastigkeit zeigt sich auch in der medialen Berichterstattung – Ein Vorschlag, dem Publikum eine Stimme in kulturellen Öffentlichkeiten zu geben
Dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist, darauf deutet allein ein Blick in die gängigen Medien hin. Wann immer wir den Kulturteil einer Zeitung aufschlagen, dann ist der Bericht über die jüngsten Hervorbringungen dieser bzw. dieses oder jener bzw. jenes Künstler*in nicht weit. Was er oder sie fertig gestellt, auf die Bühne gestemmt oder sonst wie in die Öffentlichkeit gebracht hat. Als Produzent*in nimmt er bzw. sie dann auch gleich zu allen möglichen Themen der Zeit Stellung, ganz so, als ließe die Fähigkeit zur Kunstproduktion eine tiefere Sicht ins Weltgeschehen zu als bei allen anderen Normalsterblichen. Selbst die Zelebration von Ignoranz – wie im Fall von Hermann Nitsch –wird als Mittel der Überhöhung eingesetzt, um uns am Glauben über die kategoriale Differenz zwischen Künstler*inne, die – egal was – etwas zu sagen und Nicht-Künstler*innen, die nichts zu sagen haben, festhalten zu lassen.
Was aber ist eigentlich mit all denen, für die – angeblich – all diese Kunst produziert wird. Sie bleiben – ganz ähnlich wie in den Auditorien der Kultureinrichtungen – weitgehend im Dunklen. Bestenfalls erhalten sie von darauf spezialisierten Kritiker*innen mehr oder weniger fachkundige Anweisungen, was es mit ihren Kunsterfahrungen auf sich hat.
Nicht eben ein Ausdruck von Gleichberechtigung zwischen Produktion und Rezeption, die sich im Umgang mit Kunst begegnen. Stattdessen wird selbst in liberal-demokratischen Öffentlichkeiten die eine Seite ebenso stereotyp wie systematisch auf stumm geschaltet.
Aber auch nicht wirklich eine probate Haltung, um Kunst in einer diversen Gesellschaft noch einmal Bedeutung zu verleihen. Und wahrscheinlich auch nicht sehr erfolgsversprechend im Anspruch der Wiedergewinnung des Publikums, das seine kulturellen Haltungen während der Pandemie nachhaltig verändert hat.
Wie wäre es also mit dem Vorschlag, jede Kunstproduzent*innen-Stimme um eine Rezipient*innen-Stimme zu erweitern. Auch Menschen, die Kunst-Machen nicht zu ihrem Hauptberuf gewählt haben, haben spezifische Zugänge zu Kunst, verbinden damit Erwartungen, zeigen Wirkungen, haben Ambition mitzuwirken und sehen sich so als Mitgestalter*innen dessen, was wir als Kultur verhandeln. Und es könnte interessant sein, mehr von ihnen zu erfahren.
Warum also nicht Besucher*innen auf den Kulturseiten vorstellen und sie fragen, was für ein Verhältnis sie zur Kunst haben, warum sie Veranstaltungen besuchen, warum und wie sie gerne mit Künstler*innen in Beziehung treten würden, wie sie ihre Kunsterfahrungen in ihren Alltag- und Arbeitsleben integrieren und welche Utopien sie diesbezüglich entwickeln. Ich könnte mir vorstellen, die Leser*innen würden mit vielfältigen und auch überraschenden Einblicken belohnt. Und nicht zuletzt erhielten die Produzent*innen ein öffentlichkeitswirksames Feedback.
Am Ende könnte der*die Interviewer*in ja auch noch subjektive Einblicke ins Weltgeschehen erfragen – Könnte ja sogar sein, dass die eine oder andere Antwort klüger, weil erfahrungsgesättigter ausfällt als bei denen, die noch immer behaupten, sie und nur sie machten die Kunst.
Bild: Aufnahme vom “Mittendrin” Konzert im Berliner Konzerthaus