Wimmer’s Blog
Michael Wimmer regularly writes german blogs on relevant topics in and around the cultural field. On the basis of personal experiences he dedicates himself to current events as well as fundamental questions in culture, education and politics.
Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsvermittlung für Kinder
Ein Beitrag für ein Führungskräfteseminar der niederösterreichischen Kulturbetriebe
Vor ein paar Tagen war ich zu einem Führungskräftetreffen der niederösterreichischen Kulturbetriebe eingeladen, um mit den Teilnehmer*innen das Thema „Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsvermittlung für Kinder“ zu verhandeln. Ein wenig habe ich gefürchtet, mit meiner Präsentation Eulen nach Athen zu tragen
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. Immerhin haben mittlerweile eine Reihe von Kultureinrichtungen Programme für Kinder aufgelegt, Festivals für Kinder finden statt; es gibt ein eigenes Kinderkulturmagazin und ein KinderKunstLabor ist in Vorbereitung.
In meinen Überlegungen beziehe ich mich für allem auf Erfahrungen des deutschen Programms „Kunst und Spiele“ . Bereits 2012 hat die deutsche Robert Bosch Stiftung dieses Programm ausgelobt, um eine Reihe von Kultureinrichtungen wie die Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Pinakotheken München, Deutsche Oper am Rhein, DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Kammerakademie Potsdam, Klimahaus Bremerhaven 8° Ost, Kunsthalle Bremen, Museum Ostwall im Dortmunder U, Münchner Philharmoniker, Nationaltheater Mannheim, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB), Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz oder Staatsoper Hamburg zu ermutigen, ihre Häuser für Kinder zu öffnen und sie zu den Erwachsenen gleichgestellten Nutzer*innen zu machen.
Die einzelnen Projekte erfolgten in Zusammenarbeit der Kultureinrichtungen mit Kindertagesstätten und Primarschulen und erstreckten sich jeweils über mehrere Jahre
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. Finanziell gut ausgestattet sollten die Aktivitäten nicht am Rande des Betriebs stattfinden sondern einen integralen Bestandteil der gesamten Unternehmenskultur bilden. Die Leitungen mussten sich dazu verpflichten, die Ergebnisse in ihre strategischen Planungen aufzunehmen und den Schwerpunkt über das offizielle Ende von „Kunst und Spiele“ hinaus beizubehalten. Im Frühjahr 2019 fand in Berlin eine große Abschlussveranstaltung statt, bei der alle Direktor*innen über ihre diesbezüglichen Schwerpunkte berichtet und ihre Selbstverpflichtung erneuert haben.
In der Präambel zur Projektbeschreibung findet sich der Leitsatz, wonach
„Kultureinrichtungen den Auftrag hätten, Menschen unabhängig von Alter und gesellschaftlicher Herkunft kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Die Anwesenheit der Allerkleinsten ist deshalb keine Frage des Ob, sondern des Wie. Daher sollte Kindern von Anfang an die Möglichkeit geboten werden, vielfältige kulturelle Kompetenzen zu entwickeln. In Bildern, Geschichten, Liedern und Tänzen finden sich kulturelle Sinnhorizonte, die für das Selbsterleben und Verstehen von Menschen zentral sind. Theater, Bildende Kunst, Musik und Tanz stellen ganz eigene Ausdrucksformen dar, die Kinder kennenlernen sollten, um das jeweilige Erfahrungspotenzial ausloten und weitere Möglichkeiten entfalten zu können.“
EDUCULT kam die Aufgabe zu, herauszufinden, ob und wenn ja in welcher Weise diese Grundidee im Projektverlauf eingelöst wurde, welche Chancen sich dabei aufgetan haben, aber auch welche Schwierigkeiten aufgetaucht sind. Der Evaluierungsbericht des Gesamtprogramms ist öffentlich zugänglich. Dazu war EDUCULT beauftragt, an einzelnen Standorten wie dem Dortmunder U Wirkungsanalysen vorzunehmen, die u.a. über den Unternehmenswandel berichten.
Neben der Durchführung einzelner Projekte war es der Bosch-Stiftung ein großes Anliegen, grundsätzliche Veränderungsprozesse anzustoßen. Dazu wurden Initiativen zur Förderung des theoretischen Diskurses gesetzt oder Fortbildungsmaßnahmen befördert. Die Stiftung gab ein Handbuch „Positionen frühkindlicher Bildung“ in Auftrag und ließ den aktuellen Forschungsstand zu frühkindlicher Kulturelle Bildung erheben.
Vom Kopf auf die Füße: Wie wär‘s, wenn nicht nur Kinder von Erwachsenen sondern auch Erwachsene von Kindern lernen?
Im Verlauf des Projektes wurde mir klar, dass dieses Projekt nicht nur ein Lernprogramm für Kinder darstellt. Vielmehr wurde mir sukzessive bewusst, dass es bei der Neupositionierung des Kulturbetriebs gegenüber Kindern zuallererst um die Lernfähigkeit beteiligter Erwachsener wie mich geht, die bereit sind, noch einmal liebgewordene Vorstellungen von Kindern in einer Welt der Erwachsenen in Frage zu stellen.
Für die meisten von uns besteht kein Zweifel, dass sich die Position von Kindern, zumal in den (post-) modernen Gesellschaften zuletzt nachhaltig verändert hat. Die Gründe liegen einerseits in einem unstillbaren Verlangen kapitalistischer Verwertungslogik, die Kinder als zunehmend wichtige Konsument*innen erkannt hat. Sie beziehen sich aber auch auf Dynamiken im Verhältnis von Kinder- und Erwachsenenwelt, das – geht es jedenfalls nach dem nach wie vor sehr lesenswerten Buch von Philipp Aries „Geschichte der Kindheit“ – in jeder historischen Phase neu verhandelt werden will.
Kind-Sein bedeutet in jeder Zeit etwas anderes
Also sind wir als Erwachsene auch heute gefordert, unsere Vorstellungen vom Kind-Sein zu verhandeln (und dabei nicht zuletzt das Gespräch mit den Kindern zu suchen). Ich möchte in diesem Zusammenhang auf zwei Spannungsfelder hinweisen, die möglicherweise ganz konkrete Auswirkungen auf Aktivitäten für und mit Kindern im Kulturbetrieb haben.
Da ist zum einen der alte Gegensatz, der exemplarisch zwischen den beiden Philosophen John Locke und Jean-Jacques Rousseau ausgetragen wurde. War dem einen das Kind ein leeres Gefäß, das von Erwachsenen so lange mit befüllt werden wollte bis es am Ende selbst in den Status des „fertigen“ Erwachsenen zu kommen vermochte, so galt dem anderen Kind bereits alles in die Wiege gelegt, was es für sein künftiges Erwachsenen-Leben brauche. Den Erwachsenen kam bestenfalls die Aufgabe zu, das Kind in seiner Selbstwerdung zu begleiten. Für Locke war das Kind eine leere Schale, in die die Erwachsenen ihre Vorstellungen vom Kind- Sein hineinzuprojizieren vermochten während Rousseau den Eigenwert des Kindes postulierte und damit gleichberechtigt neben das Erwachsenen-Sein stellte. In der aktuellen Diskussion lässt sich dieser Gegensatz gut anhand der kulturbetrieblichen Zuschreibungen von Kindern entweder als „Publikum von Morgen“ oder „Publikum von heute“ verdeutlichen.
Kunst als hybrides Phänomen, das uns ebenso als elaboriertes wie unmittelbar erfahrbares Ereignis gegenübertritt
Und zum anderen ist da das hybride Verhältnis, das wir gegenüber der Kunst, eigentlich der Kunsterfahrung gegenüber entwickelt haben. Es gehört zu den Grundsätzen aufklärerischen Fortschritts, ein elaboriertes Kunstsystem entwickelt zu haben. Dies zeigt sich als ein gesellschaftliches Subsystem mit spezifischen Traditionen, Theorieansätzen, Logiken und Ausdrucksformen, die selbst einem kundigen Erwachsenen-Publikum nur in Teilaspekten zugänglich sind. Entlang langjähriger Erfahrungen zeichnet es sich durch spezifische Reflexionsfähigkeit und konzeptionell geleitete Zugänge (Insiderwissen) aus, deren Kenntnis gerne als ausschließende Vorbedingung für eine „richtige“ Rezeptionsweise herhalten muss. Ihren Ort findet sie schließlich in einer Architektur, die hinreichend Kontemplation, Ruhe, Disziplin und Muße verspricht, alles Voraussetzungen, die von den Gralshüter*innen der Kunst als unabdingbar angesehen werden, um der dort verhandelten Kunst gerecht zu werden. Damit genau die Qualitäten, die Kindern, welche erst am Anfang ihres Zivilisierungsprozesse stehen, gerne abgesprochen werden.
Kunst aber kann auch ganz anders gelesen werden: als Ausgangspunkt einer sinnlicher Erfahrung, die zuallererst wahrgenommen werden will ungeachtet der Voraussetzungen, die die Rezipient*innen mitbringen. In dieser Voraussetzungslosigkeit kann Kunst natürlich auch von Kindern wahrgenommen werden, umso mehr manchmal, da diese noch nicht umstellt sind von den ebenso einschränkenden wie bereichernden Brillen von Erwachsenen.
Während also Kinder in einer weitgehend unvermittelten Art auf Kunst treffen, entkommen Erwachsene nur selten ihren in vielen Jahren aufgehäuften Erfahrungspanzern. Man muss nicht unbedingt Picasso mit seinem Sager „Ich konnte schon früh zeichnen wie Raffael, aber ich habe ein Leben lang dazu gebraucht, wieder zeichnen zu lernen wie ein Kind“ zitieren, um jedenfalls deutlich zu machen, dass Kind-Sein kein Ausschließungsgrund vom Kunstbetrieb sein kann, ganz im Gegenteil.
Ich selbst konnte im Bode-Museum in Berlin dabei sein, wie eine Gruppe aus einem islamischen Kindergarten die dortige „Basilika“ eroberte und sich mit großer Freude diesen Raum aneignete. Zuvor waren sie zusammen am Boden der Eingangshalle gelegen, um sich von der Grandiosität der Kuppel überwältigen zu lassen. Naturgemäß ging es dabei nicht um Einzelheiten der Rezeptionsgeschichte dieses oder jenes ausgestellten Kunstwerks. Aber die Versuche des Nachstellens diverse Skulpturen machte deutlich, wie es den Kindern in einer ganzkörperlichen Erfahrung gelingen kann, die Idee der Artefakte selbst auszudrücken und damit die Räume mit ihrer Gegenwart zu imprägnieren. Und es sage niemand, die Kinder hätten keine spezifische Kunsterfahrung gemacht: Noch nach vielen Monaten konnten sich befragte Kinder ganz genau erinnern, was sie erlebt, was sie erfahren und was sie sich dazu überlegt hatten. Und sie bestanden darauf, eine, nämlich ihre, Kunsterfahrung gemacht zu haben.
Ohne an dieser Stelle ins Detail zu gehen, aber vielleicht zeigt sich hier auch eine kategoriale Differenz zwischen unseren Ansprüchen an Kunst und an Wissenschaft. Immerhin verweist der hier nur andeutbare hybride Charakter von Kunsterfahrung auf einen Gegensatz im Umgang mit Wissenschaftlichkeit, die noch einmal auf eine andere Art auf kundige Erwachsene beschränkt wird. Immerhin haben sich aber auch in diesem Metier zuletzt verstärkt Methoden der Wissenschaftsvermittlung durchgesetzt, im Rahmen dessen auch Kinder als „kleine Forscher*innen“ auftreten dürfen.
Wenn sich also in den letzten Jahren unsere Vorstellungen über Kind-Sein gewandelt haben, so hat das auch in der Politik seinen Niederschlag gefunden. Dies zeigt sich in neuen kulturpolitischen Schwerpunktsetzungen (nicht zuletzt in Niederösterreich), die vor allem von staatlich (mit-) finanzierten Einrichtungen eine stärkere Berücksichtigung eines Kinder-Publikums fordern. Das Dilemma: Obwohl sich – etwa im Bereich des klassischen Musikbetriebs – mittlerweile rund ein Drittel des Angebotes an Kinder richtet, tragen diese auf Grund der besonderen Kostenstruktur bislang nur sehr bescheiden zu den Umsatzzielen bei. Entsprechend groß ist die Erwartung an die öffentliche Hand bzw. an Sponsoren, helfend einzuspringen.
Drei Versuche des Kulturbetriebs, Kindern Kulturräume zu eröffnen
Beobachtet man den Status quo etwas genauer, so lassen sich unschwer drei verschiedene Zugänge gegenüber Kindern erkennen.
Da sind zum einen eigene Einrichtungen, die ihr Programm speziell auf Kinder ausrichten. Zumindest einige von ihnen (z.B. zoom-Kindermuseum oder Dschungel Wien) haben zuletzt durchaus eine öffentliche Aufwertung erfahren. Und doch leiden viele von ihnen traditionell an einem schlechten Image. Kunsteinrichtungen, deren Angebot sich vorrangig an ein erwachsenes Publikum richtet, rümpfen da schon mal die Nase: An diesen Orten würde keine „richtige“ Kunst verhandelt; Künstler*innen, die dort tätig sind, hätten es nicht geschafft, im „richtigen“ Kunstbetrieb Fuß zu fassen und jetzt „müssten“ sie sich halt mit Kindern beschäftigen. Und so schaut dann auch das Image und die Bezahlung aus, die die Akteur*innen in der Regel wesentlich schlechter stellt als ihre Kolleg*innen in den nicht auf Kinder spezialisierten Einrichtungen (Die strukturellen Nachteile zeigen sich nicht zuletzt im Rahmen der öffentlichen Kunst- und Kulturförderung, die diese Einrichtungen systematisch benachteiligt und im Vergleich mit auf ausschließlich Erwachsene zugeschnittene Einrichtungen mit Almosen abspeist)
Bereits in den 1980 Jahren -dann nochmals dank eines kulturpolitischen Schwerpunkts in der Ära Claudia Schmied 2007 – 2013 macht sich im Kulturbetrieb der Gedanke der Vermittlung breit. Daraus resultierte zuletzt die Implementierung von Bildungs- und Vermittlungseinrichtungen in größeren Kultureinrichtungen aller Sparten. Pragmatisch sind diesbezügliche Strategien der Erkenntnis geschuldet, ein immer kleiner und älter werdendes kundiges Erwachsenen-Publikum würde – mit Ausnahme einiger besonderer Tourist*innen-Attraktionen – nicht ausreichen, um die Einrichtungen auf Dauer zu legitimieren. Also macht man sich auf die Suche nach neuen, bislang vernachlässigten, oft sozial benachteiligten Publika, die man vor allem in Migrant*innen-Communities und bei jungen Menschen zu finden hofft.
Herausgebildet hat sich mittlerweile ein ausdifferenziertes Methodenset, das – zusammen mit einer Reihe von Aus- und Fortbildungen den Anspruch eines neuen Fachzusammenhanges begründet, der sich nicht mehr mit dem Status eines parasitären Anhängsels am „eigentlichen“ Betrieb abspeisen lassen möchte. Ungeachtet dessen fristen viele Vermittler*innen nach wie vor ein recht randständiges Dasein, im Rahmen dessen sie sehr darum kämpfen müssen, Einfluss auf die künstlerische und betriebliche Gesamtausrichtung zu nehmen. Stattdessen werden sie nur allzu oft nach Festlegung des künstlerischen (oder auch wissenschaftlichen) Programms auf die Aufgabe festgelegt, „die Hütte – und sei es mit Besuchen von Schulklassen – voll zu bekommen.“ Im Vergleich dazu bleibt nur allzu leicht unberücksichtigt, ihre Kompetenzen und die Erwartungen/Bedürfnisse junger Menschen adäquat in die Gesamtentwicklung des Unternehmens einfließen zu lassen und damit die Programmgestaltung von Anfang mitzuentscheiden,
Ihre strukturelle Prekarität zeigt sich vor allem dort, wo Vermittlungsangebote als additiv und nicht als eine der Kernaufgaben und damit essentiell für das Unternehmen angesehen werden. Ihre Durchführung hängt dann gerne an der Akquisition von Drittmitteln, die Art und Ausmaß des Vermittlungsangebotes bestimmen.
Programme wie „Kunst und Spiele“ zielen hingegen darauf ab, die Kommunikation mit Kindern nicht von externen Sponsor*innen abhängig zu machen, sondern in ihr eine Kernaufgabe und damit einen eminenten Auftrag an die gesamte Institution, der nicht beliebig auf- oder zugedreht werden kann, zu sehen. Dazu bedarf es freilich einer institutionellen Schwerpunktverlagerung samt einer Ressourcenumverteilung innerhalb des Unternehmens. Bei all dem kommt dem Management eine zentrale Funktion zu, wenn es nicht nur darum geht, die Arbeit mit Kindern nach innen und nach außen hin selbst zu vertreten sondern dafür auch alle Abteilungen und damit künstlerisches und wissenschaftliches Personal, Kuration, kaufmännische Betriebsführung, Raum und Technik, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit bis hin zur Aufsicht für eine gemeinsame Haltung gegenüber Kindern zu gewinnen.
Viele der Führungskräfte werden sich spätestens jetzt fragen: „Und was kriegen wir dafür?“
Zur Beantwortung lassen sich sowohl idealistisch-normative als auch pragmatische Antworten finden.
Da ist allen voran die begründete Vermutung, mit einer stärkeren Berücksichtigung aller Altersgruppen und damit insbesondere der Kinder würde sich die Akzeptanz und die Relevanz des Kulturbetriebs in der Gesellschaft erhöhen lassen. Dies gilt nicht zuletzt für die staatliche Kulturpolitik, die eine weitere Privilegierung „ihrer“ Kultureinrichtungen nicht zuletzt mit den geänderten politischen Kräfteverhältnissen neu legitimieren muss.
Eine stärkere Berücksichtigung von Kindern als Publikum lässt aber auch einen neuen Wind im Betrieb wehen. Mit Kindern kann sich eine neue Art von Unmittelbarkeit und damit Lebendigkeit breit machen, die auf Erwachsene (sei es in Gestalt von Betriebsangehörigen oder als Publikum), die den unmittelbaren Reaktion der Kinder etwas abgewinnen können, zurückwirken vermag.
Die Arbeit mit Kindern erlaubt aber neue institutionelle Anbindungen. Mit ihnen finden sich bislang unberücksichtigt gebliebene Gesprächspartner*innen bei der Realisierung künstlerischer (und wissenschaftlicher) Qualitätsansprüche. Die können sich freilich nicht mehr im selbstreferenziellen Kreis von Spezialist*innen erschöpfen sondern sind gefordert, zumindest Bezug nehmen zu den kulturelle Bildungsansprüchen derer, die ihre eigenen Dispositionen gegenüber Kunst mitbringen (und sage niemand, dies sei bei Kindern nicht der Fall). Aber natürlich kann es so auch gelingen, die eigenen künstlerisch-ästhetischen Ansprüche mit Kindergärtner*innen und Lehrer*innen so zu verhandeln, dass deren pädagogische Fähigkeiten im Umgang mit künstlerischen Phänomenen gestärkt werden können.
Auf diese Weise können sich Kultureinrichtungen als Akteure von „Cultural Government“ wieder finden, die sich stark genug fühlen, sich von bewährten Top-Down-Methoden der Vermittlung zu verabschieden und sich auf neue Formen der kulturellen Partizipation einzulassen. Das geplante KinderKunstLabor scheint hierfür ein herausragendes Experimentierfeld, in dem Kinder selbst eine Stimme erhalten und dabei lernen, sich mit ihren Ambitionen an betrieblichen Change-Prozessen zu beteiligen.
Zuletzt hat das Projekt „Kunst und Spiele“ deutlich gemacht, dass es bei ihren Versuchen, Kinder ins Zentrum ihrer strategischen Überlegungen zu holen, nicht nur um diese selbst geht sondern auch um die vielen anderen, die hinter den Kindern stehen, nicht zuletzt Eltern und Familienangehörige, die auf Wunsch der Kinder zu einer relevanten Publikums-Gruppe wurden.
Was man aus den bisherigen Erfahrungen im Umgang mit Kindern lernen kann
Aus den Erfahrungen, die wir bei EDUCULT in der Begleitung von „Kunst und Spiele“ gemacht haben, lassen sie eine Reihe von Qualitätsaspekten ableiten, die abschließend noch einmal anhand konkreter Handlungsanleitungen zusammengeführt werden sollen:
- Gruppengröße: Interaktive Angebote brauchen kleine Gruppen von 6-12 Kindern.
- Alter: Die Formate müssen den Entwicklungsstand der Kinder berücksichtigen, sei es hinsichtlich Sprache, Bewegungsdrang oder der Möglichkeit, Dinge anzufassen. Formate für Dreijährige müssen deshalb ganz anders gestaltet werden als für Sechsjährige.
- Bezugspersonen: Gerade für die Jüngsten ist eine vertraute Bezugsperson sehr wichtig. Die beteiligten Erwachsenen sollten deshalb möglichst aktiv in das Format einbezogen werden. Ebenfalls hilfreich ist es, wenn die Vermittler*innen und Künstler*innen vor Ort bei mehrtägigen Formaten immer wieder dieselben sind, um den Kindern Sicherheit zu geben.
- Rituale: Rituale (gemeinsame Lieder, wiederkehrende Spiele) haben sich als sehr wichtig erwiesen, nicht zuletzt, weil eine Ausgewogenheit zwischen Neuem und Vertrautem für die Kinder hilfreich ist.
- Zeit: Die junge Zielgruppe erfordert eine andere Zeitplanung. Formate müssen entschleunigt werden, die Vermittler*innen und Künstler*innen brauchen viel Geduld. Hinzu kommt, dass die Zeitfenster, in denen die Kinder konzentriert mitmachen können, begrenzt sind. Während bei 6- bis 8-Jährigen mehr Flexibilität möglich ist, sind Dreijährige noch sehr vom gewohnten Rhythmus abhängig.
- Wiederholter Kontakt: Mehrmalige Besuche in der Kultureinrichtung bzw. auch Gegenbesuche im Kindergarten/Schule haben sich in den Projekten bewährt. Dies ermöglicht ein langsames, schrittweises Vertrautmachen mit den Räumlichkeiten, den Personen und der Kunst und trägt zur Nachhaltigkeit der Erfahrung bei.
- Räume: Die Arbeit mit jungen Kindern erfordert entsprechende Räume, bisweilen sogar eigene Möbel.
- Material: Kinder müssen ihren haptischen Bedürfnissen nachkommen können. Deshalb ist es wichtig, dass entsprechendes, unterschiedlich beschaffenes Material zum Anfassen, Spielen und Gestalten in ausreichender Menge zur Verfügung steht.
- Grenzen: Eine der großen Herausforderungen in der Arbeit mit sehr jungen Kindern ist der Umgang mit Grenzen. Es gibt zahlreiche Dinge, die die Kinder in einer Kultureinrichtung nicht anfassen oder nicht tun dürfen. Das Einhalten der Grenzen muss immer wieder geübt werden.
- Techniken: Von der Vielzahl der Gestaltungsmöglichkeiten können die Einrichtungen je nach Rahmenbedingungen passende Techniken auswählen. Es geht nicht darum, alles anzubieten, sondern die Kinder dabei zu unterstützen, Schritt für Schritt ein ästhetisches Gestaltungsvokabular aufzubauen.
- Echtheit: Den Kindern soll „Erwachsenenkunst“ vermittelt werden. Sie sollen mit Originalen (Werke, Instrumente) sowie mit Künstler*innen und Musiker*innen in Berührung kommen.
- Wertschätzung der Werke der Kinder: Gleichzeitig erschaffen Kinder eigene Werke, auch wenn in den Vermittlungsformaten der Prozess und nicht das Produkt im Vordergrund steht. Diese Werke müssen wertgeschätzt werden.
- Balance zwischen Eindruck und Ausdruck: Es ist wichtig, dass im Format sowohl rezeptive als auch gestalterische Elemente ihren Platz haben. Beides soll in den Vermittlungsformaten gefördert werden.
- Zutrauen: Es erfordert von allen Beteiligten Mut, den Kindern etwas zuzutrauen, sie zu fordern, sie mit Neuem und Ungewohntem zu konfrontieren.
- Partizipation: Mehrere Befragte teilen die Erfahrung, dass die Angebote dann besonders erfolgreich sind, wenn die Kinder ihren Möglichkeiten entsprechend mitgestalten und mit-bestimmen können und die Aktivitäten von den Fragen der Kinder (mit-)geleitet sind.
- Zusammenarbeit mit den Bildungseinrichtungen: Das Nutzen der unterschiedlichen Expertisen aus Kultur- und Bildungsbereich ist ein wesentlicher Qualitätsaspekt. Gemeinsame Workshops, Handreichungen und diverse Materialien können die Zusammenarbeit unterstützen.
- Sensibilisierung des Personals: Für einige Kultureinrichtungen sind junge Kinder eine ganz neue und mitunter herausfordernde Zielgruppe. Dies gilt besonders für Aufsichtspersonal, das für die Sicherheit der Werke zuständig ist, aber auch viel Kontakt mit Besucher*innen hat. Es ist deshalb wichtig, das Personal, das mit den Kindern zu tun hat, gut vorzubereiten und für die Besonderheiten zu sensibilisieren.
- Dokumentation: Die Prozessorientierung, an deren Ende nicht unbedingt eine Ausstellung oder Aufführung stehen muss, macht es notwendig, den Prozess gut zu dokumentieren, etwa in Form von Filmen, Blogs, Fotobüchern. Die Dokumentation ist v.a. für die Kommunikation nach außen wichtig, etwa in Richtung weiterer Bildungsakteur*innen oder Eltern.
- Elternarbeit: Die Einbeziehung der Eltern ist für die Qualität frühkindlicher Kulturvermittlung essentiell. Zum Einsatz kommen etwa Elternabende, Einladungen in die Kultureinrichtung oder gemeinsame Feste.
Kinder gehen den ganzen Betrieb etwas an
Alle diese Handlungsanleitungen können ihre Wirkung nur im Rahmen einer strategischen Weiterentwicklung des gesamten Unternehmens entfalten. Dafür steht zuallererst eine ermutigende und motivierende Haltung der Leitung
. Modellhafte Erfahrungen von Einrichtungen wie dem KinderKunstLabor können bei der Generierung neuer Erfahrungen und ihrer möglichen Umsetzbarkeit hilfreich sein. Dazu gehört aber auch ein vermehrtes Angebot an Aus- und Fortbildung, zumal sich der Umgang mit Kindern nur in den seltensten Fällen von selbst versteht. Nicht zu unterschätzen bei einer solchen Schwerpunktbildung ist der Aspekt der Öffentlichkeit, die mithelfen kann, den Kulturbetrieb auf neue Weise nicht nur gegenüber Kindern sondern in der Gesellschaft als Ganzes neu zu positionieren
Aus der Krise kommen – Das Publikum ins Zentrum rücken
Der aktuelle Shut-Down hat noch einmal in aller Form die Fragilität eines Kulturbetriebs deutlich gemacht, der meint, mit Kontinuitätsvorstellungen über die Runden zu kommen. Ihnen hat zuletzt Andrew McIntyre mit seinen “Seven Pillars of Audience Focus” eine Direktive an die Hand gegeben, die einen, vielleicht den einzigen Weg in eine prosperierende Zukunft weist. McIntyre zufolge stünde der Kulturbetrieb vor der Herausforderung, vom Produkt über das Marketing nunmehr das Publikum als solches stärker in das kulturelle Geschehen einzubeziehen. Während eine traditionelle Kulturbetrieblichkeit sich darin erschöpfte, das Produkt „Kunst“ in den Mittelpunkt der institutionellen Aufmerksamkeit zu stellen und darauf zu hoffen, dass die Nutzer*innen schon davon Gebrauch machen würden, versuchte man in der Folge, sich mit Hilfe neuer Marketing-Strategien die Marktkräfte zunutze zu machen und mit den potentiellen Nutzer*innen ein Produzent*innen-Konsument*innen-Verhältnis aufzubauen.
Mit der zunehmenden Individualisierung (samt kultureller Emanzipation) sei es nunmehr an der Zeit, das Publikum ins Zentrum zu rücken und ihm nicht nur als Konsument*in sondern als Mitakteur*in auf Augenhöhe zu begegnen. Spätestens mit den vielfältigen Interaktionsformen im digitalen Raum lässt sich dieses nicht mehr auf eine passive Haltung beschränken; das Publikum aller Altersgruppen will statt dessen mitreden, mitgestalten, als „Co-Creator” auftreten.
Einen solchen umfassenden Transformationsprozess umzusetzen ist nicht einfach und stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Das Schöne: Mit keiner sozialen Gruppe kann er auf eine so spielerische und lustvolle Weise eingeübt werden wie mit Kindern. Vielleicht habe ich Ihr Interesse geweckt, die darin liegenden Chancen zu nutzen.
Dazu wünsche ich Ihnen alles Gute!
©Bild: flickr: “The Cloud Tower or Wolkenturm“/Richard Shaw. CC BY-NC-SA.