Wimmer’s Blog
Michael Wimmer regularly writes german blogs on relevant topics in and around the cultural field. On the basis of personal experiences he dedicates himself to current events as well as fundamental questions in culture, education and politics.

Kunst oder Mensch – das ist hier die Frage.
Über ein unhintergehbares Widerspruchsverhältnis, dessen Bearbeitung über die Zukunft des Kunstbetriebs entscheiden wird
Dieser Tage erlebte ich den russischen Pianisten Grigory Sokolov im Stephaniensaal in Graz. Sein Programm umfasste diesmal Mozart und Brahms, als Zugabe folgten Rameau, Schubert und Schumann. Und es stellte sich einmal mehr der Eindruck ein: Dieser Musiker ist irgendwie nicht von dieser Welt. Wenn er da allein am Instrument sitzt und spielt, kann er einfach alles. Als wäre da einer von einem anderen Stern gekommen.
Wenige Tage später spielte er das gleiche Programm im Wiener Konzerthaus. Der Musikkritiker des Standard Daniel Ender erlaubte sich eine verhaltene Kritik, wenn er anhand der Interpretation des As-Dur-Impromptus von Schubert die Wirkung der Musik als „ausgesprochen schön und zugleich schön fad“ beschreibt. Kann es sein, dass er da eine zu viel des Guten präsentiert hat?
Aber nicht um eine Musikkritik soll es hier gehen sondern um das Verhältnis von Interpret und Publikum, das Sokolov auf eine sehr eindeutige Art definiert. Im Programmheft lese ich dazu:
„Als legendär gelten sein schnelles Schreiten zur Bühne, die kurze Verbeugung und die sofortige Konzentration auf das, was seiner tiefsten Überzeugung nach im Mittelpunkt steht und stets auch stehen sollte: die Musik. Sokolov scheint in der Musik zu versinken und stellt sich selbst als Künstler und Persönlichkeit in den Schatten der „Protagonistin“ Musik: „Ich mag all die Dinge nicht, die nichts mit der Musik zu tun haben. Alles, was die Musik stört, entzieht ihr Kraft und hat keinen Platz neben ihr“.
Um Musik soll es also gehen; um nichts als um die Musik
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. Sokolov lässt dazu das Saallicht dämpfen. Die Körper der Zuhörer*innen sollen tunlichst zum Verschwinden gebracht werden; ihre Reaktion erschöpft sich im Schlussapplaus, der sich auch diesmal – fast als ein Befreiungsakt – als nicht enden wollend erweisen sollte.
Grigory Sokolov ist durch die traditionelle russische Pianistenschule gegangen: Das Ergebnis ist ein Körper, durch den Musik scheinbar mühelos hindurch geht und zum Klingen gebracht wird. Da will sich niemand mehr von seiner Virtuosität beeindrucken lassen, diese wird als immer schon selbstverständlich vorausgesetzt: Statt dessen will Sokolov den Eindruck einer „reinen Musik“ suggerieren, die die Zuhörer*innen in ihren Bann zieht und ihnen das Gefühl gibt, sie wären – zumindest für den kurzen Moment der Aufführung – ihrer Körperlichkeit enthoben. Die Musik, die den Stephaniensaal durchströmt, ist alles. Das Wissen, dass da ein Mensch aus Fleisch und But spielt und andere zuhören, verschwindet.
Wenn dabei Daniel Ender nicht nur der Eindruck der Schönheit sondern auch der Fadheit überkommt, so mag es u.a. daran liegen, dass in einem Rezital von Sokolov das Ringen des Menschen um Musik jeglicher Boden entzogen erscheint. Die Musik ist in vollendeter Form immer schon da; dem Interpreten ist es vorbehalten, sie möglichst rein zum Ausdruck zu bringen.
Ein solches Erlebnis ist überwältigend und es ist zugleich unmenschlich. Sokolov ist mit seiner Haltung zu Musik einer der Vertreter einer Aufführungspraxis, die vermeint, Musik und Mensch so weit voneinander trennen zu müssen, dass sie scheinbar nichts mehr miteinander zu tun haben. Nur so könne man ihr gerecht werden.
Musik aus dem Jenseits: als Ausdruck göttlicher Vollkommenheit….
Es versteht sich fast von selbst, dass sich eine solche Auffassung von Musik jeglicher Vermittlung verweigert. Dabei besteht die Vertracktheit dessen, was sich zwischen Sokolov und seinem Publikum ereignet darin, dass der Spielende und die Hörenden zwar auf einem gemeinsamen Raum verwiesen sind, in dem sie Musik erfahren (und folglich über das Medium Musik in Beziehung treten). Zugleich muss diese Gemeinsamkeit geleugnet werden, geht es ja nicht um diejenigen, die Gemeinsamkeit herstellen sondern um die Musik, hinter die beide Seiten zurückzutreten haben. Dieses Setting richtet sich folglich gegen alle Vorstellungen, bei Musik handle es sich um eine herausragende Form der menschlichen Kommunikation, deren Aufgabe darin besteht, Produzent*innen und Rezipient*innen miteinander in Beziehung zu setzen. Stattdessen sollen sie verschwinden, um das zu ermöglichen, um was es zumindest Sokolov geht: um eine Musik jenseits der Unzulänglichkeiten der menschlichen Natur, in der Hoffnung, von dort umso stärker zurückwirken zu können (eine Wirkweise, die im Glücksfall kathartische Effekte auszulösen vermag). Die Apologet*innen von Vorstellungen von Musik, die in ihr einen unmittelbar göttlichen Ursprung erkennen wollen, sind da nicht mehr weit.
… oder als Spiegel der eigenen menschlichen Unzulänglichkeit
Mit dieser musikalischen Jenseitserfahrung stellte sich mir als Zuhörer im Stephaniensaal ein seltsames Gefühl des Widerspruchs ein: Ja, es war ein wunderbares Konzert. Zugleich ich fühlte mich danach völlig allein und auf meine eigene Endlichkeit (die dorthin, wo diese Musik ist, nie kommen wird) verwiesen. Ich erfuhr mich ein kategorial anderer, armselig Suchender, den eine ganze Welt trennt von dem Künstler auf der Bühne mitsamt seinen überirdischen Fähigkeiten, auch wenn Sokolov zufällig genauso alt ist wie ich.
Musik im Diesseits: als Ausdruck menschlicher Kommunikation
Zum Glück gibt es da auch noch ganz andere Zugänge zur Musik von Menschen, die ebenso herausragend gut Musik spielen können. Igor Levit ist so einer, auch er russischer Herkunft und Vertreter einer jüngeren Pianisten-Generation, der einen völlig anderen Zugang zum musikalischen Geschehen ermöglicht. Schon sein erster Auftritt ist überraschend: Auf seiner Homepage bezeichnet sich Levit als Citizen, danach als European und erst dann als Pianist. Als aufmerksamer Zeitgenosse meldet er sich regelmäßig zu aktuellen politischen Problemen zu Wort. Und doch: Sein gesellschaftspolitisches Engagement tut ganz offensichtlich seinen pianistischen Fähigkeiten keinerlei Abbruch (wie man an der aktuellen Gesamteinspielung aller Beethoven-Sonaten ganz unmittelbar hören kann).
Im Versuch eines Vergleiches dieser beiden Pianisten-Persönlichkeiten in ihrem Verhältnis zur Musik einerseits und andererseits zu denen, für die sie musizieren, wird rasch ein zentraler Konflikt deutlich, der den klassischen Musikbetrieb bis heute durchzieht. Da sind zum einen diejenigen, die Musik als quasi extra-terrestrische Ausnahmephänomen kultivieren, das nur zum Ausdruck kommen kann, wenn es von allen Widrigkeiten des sonstigen gesellschaftlichen Zusammenlebens befreit wird. Und da sind zum anderen diejenigen, die Musik als eminenten Bestandteil eben dieses Zusammenlebens begreifen und es darauf anlegen, sie ihre Bedeutung als Medium (nonverbaler) Kommunikation zu vertiefen. Also stehen einander gegenüber: Geishas des Westens, deren herausragende Begabung dazu führt, sie von kleinst an als Medium der Musik körperlich und geistig zuzurichten ein neuer Typus des/der Musikers/Musikerin, die sich in der Mitte der Gesellschaft weiß, diese mitgestalten möchte und trotzdem (oder gerade deshalb) Musik als eine Form des Miteinander interpretiert, die Menschen als Ganze anspricht (deren Körperlichkeit sich nicht darin erschöpft, ihre Ohren in den Konzertsaal zu tragen).
Der Kampf zwischen Kunst und Mensch wird exemplarisch in den künstlerischen Ausbildungseinrichtungen ausgetragen
Weite Teile, vor allem des musikalischen Ausbildungsbetriebs haben es lange Zeit als ihre vorrangige Aufgabe angesehen, junge Menschen auf ihren Dienst für die Musik vorzubereiten. Da kann ich aus eigener Erfahrung sprechen: Ich erinnere mich an meine Studienzeit an der Universität für Musik und darstellende Kunst, während der sich alles ums Üben drehte. Der Rest des Studienangebotes, das u.a. eine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Verortung von Musik erlauben sollte, wurde als möglichst zu vermeidende Ablenkung angesehen. Diese würde nur Zeit kosten auf dem Weg zum Eigentlichen: Die perfekte Art, das Instrument und/oder die Stimme zu beherrschen. Nur zu gut kann ich mich in der Lothringerstraße an die rote Tür zum damals ganz jungen, von Kurt Blaukopf ins Leben gebrachte Institut für Musiksoziologie erinnern. Um sie galt es, einen möglichst weiten Bogen zu machen. Als „Eingeweihte“ verstand sich für uns die Bedeutung von Musik als von sich aus ewig gültig von selbst; diese – in welcher Form auch immer – zu kontextualisieren und damit in die konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse einzubetten, in denen sie erfahren wird, konnte nur zu ihrer Verwässerung führen.
Die Aura der Kunst als Karotte auf dem Weg zur Perfektion
Nun ist die Sparte Musik durch einige Besonderheiten geprägt: Es bedarf zumindest 10 000 Stunden an Überzeit, um sich im klassischen Repertoire auch nur halbwegs zurecht zu finden. Das erfordert einen beträchtlichen Zeit- und Kraftaufwand, der jeden Tag aufs Neue erbracht werden will. Also gilt es, jede Ablenkung zu vermeiden. Es gibt also ganz pragmatische Gründe, Musik mit einer Aura der Jenseitigkeit zu umgeben. Anders würde es nicht gelingen, die notwendige Bereitschaft aufzubringen, ein Leben lang nach ihrer unerreichbaren Vollkommenheit zu streben. Andere künstlerische Ausdrucksformen mögen da fürs Erste gnädiger erscheinen, wenn ihre handwerklichen Anforderungen scheinbar leichter zu erwerben sind. Dem Spannungsverhältnis zwischen dem Vollkommenheitsanspruches der Kunst und der Unvollkommenheit des Menschen, der nach ihr strebt, entgehen auch sie nicht.
Am Beispiel Igor Levits aber wird deutlich, dass auch im klassischen Musikbetrieb ein neuer Künstlertyp Furore machen kann, der den Kontext, in dem Musik stattfindet, als essentiellen Bestandteil seiner Musizierpraxis begreift. Als Ausdruck seiner künstlerischen Haltung möchte sich Levit nicht darauf reduzieren lassen, sich ausschließlich der Vervollkommnung der Musik zu widmen. Ja, er will als Mensch an seine musikalischen Grenzen gehen (und die sind hochgesteckt). Aber er möchte damit einen Ort jenseits der Gesellschaft finden sondern mit dem, was ihn als Bürger, Europäer und eben auch Musiker ausmacht einen aktiven Part im Zusammenleben der Menschen einnehmen.
Sidestep: Künstler*innen können sich auch im Diesseits übernehmen
Anhand der aktuellen Diskussion um Peter Handke können wir unschwer erkennen, dass diese Positionierung nicht ungefährlich ist. Vor allem, wenn der Status des Künstlers/Künstlerin glauben machen möchte, über eine privilegierte Interpretation der gesellschaftlichen Verhältnisse zu verfügen. Er/sie beansprucht dabei nur zu leicht, die bessere Seite von Politik zu repräsentieren während diese selbst eine Abwertung erfährt. Das Ergebnis ist eine künstlerische Hybris, die suggeriert, Künstler*innen hätten einen privilegierteren Zugang zum politischen Geschehen als der/die Normalbürger.
Dagegen steht das Selbstverständnis von Igor Levit, der sich auf Grund seiner Profession als Pianist nicht als der bessere Politiker sondern als schlicht als ein Staatsbürger begreift, der seine Aufgabe darin sieht – Musiker hin oder her – seine Stimme zu erheben, wo immer ihm das notwendig erscheint. Dazu gehört auch, seine künstlerische Tätigkeit von Nimbus göttlicher Jenseitigkeit zu befreien, damit zu entmystifizieren. Er hat kein Problem damit, als Vermittler zwischen Produzent*innen und Nutzer*innen zu vermitteln, um sich und das, was er musikalisch macht als eine genuin menschliche Handlung zu erklären. Darüber hinaus besteht seine Vorbildwirkung nicht im Herausstellen einer inhaltlich-politischen Überlegenheit sondern in seiner grundsätzlichen Haltung, sich als Teil eines gesellschaftlichen Ganzen zu begreifen und dieses mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln mitbestimmen zu wollen.
Die Idee von Künstlerschaft ist in Veränderung begriffen, hier und anderswo
Während meiner jüngsten Reise nach Taiwan hatte ich die Gelegenheit, mehre Kunstuniversitäten zu besuchen. Die meisten von ihnen verfügen über ein sehr umfangreiches Studienangebot, das alle künstlerischen Genres ebenso umfasst wie die neuesten medien-technologischen Entwicklungen aber auch ganz traditionelle Studienangebote im Bereich des Instrumentenbaus. Und doch war der gemeinsame Tenor des künstlerischen Personals, die relative Isoliertheit der unterschiedlichen Ausbildungsangebote zu beklagen. Zwischen den einzelnen Instituten käme es viel zu selten zu einem sich gegenseitigen befruchtenden Austausch
. Mit der dominanten Attitüde, die Fahne des eigenen Genres mit allen Mitteln hochhalten und dabei die Studierenden zu umfassender Loyalität verpflichten zu müssen, würde der Betrieb an sehr traditionellen Vorstellungen von Musik, Bildende Kunst, Theater der Tanz festhalten, das der bunten Vielfalt des künstlerischen Geschehens außerhalb dieser Ausbildungseinrichtungen immer weniger gerecht würde. Die mentale Entscheidung, sich entweder in den Dienst einer bestimmten, auf Ausschließlichkeit gerichteten Kunstform zu begeben oder diese von Anfang an in Bezug zu setzen zur Vielschichtigkeit dessen, was menschliches Zusammenleben ausmacht, ginge in diesen akademischen Schonräumen nach wie vor zugunsten des Einübens traditioneller Haltungen aus. Integrative, auf Kontextualisierung künstlerischer Prozesse gerichtete Angebote hätten es hingegen nach wie vor schwer (bei Lehrenden ebenso wie bei Studierenden).
Eine junge Künstler*innen-Generation macht es vor
Im Versuch, eine Brücke zwischen diesen beiden Zugängen zu schlagen, möchte ich von einer jungen Studierenden an der Angewandten berichten. Xenia Ostrovskaya hat in ihrer Heimatstadt Leningrad (St. Petersburg) eine klassische Ausbildung im Umgang mit Porzellan erhalten. Diese Art der Spezialisierung genügte ihr nicht; nach dem Abschluss fand sie ihren Weg nach Wien, wo es ihr gelang, – manchmal gegen den Widerstand des künstlerischen Ausbildungsleiters – ihr Repertoire zu erweitern und sich gleichermaßen im Medium Musik, Film oder Performative Arts zu bewegen. Dabei nimmt sie durchaus Bezug auf das aktuelle gesellschaftliche Geschehen. Mit ihrer integrativen künstlerischen Herangehensweise ist sie ein gutes Beispiel dafür, wie es gelingen kann, mit dem Erwerb sehr spezifischer künstlerischer Fertigkeiten Neuland in viele Richtungen zu betreten. Ihr künstlerisches Wollen erschöpft sich nicht darin, der Kunst zu dienen, sondern diese als ein herausragendes Medium zu benutzen, Welt für sich und für andere zu erfahren und sichtbar zu machen . Ihr Ziel ist es nicht, Räume abzudunkeln sondern ganz im Gegenteil zu erhellen, auf dass sich bei denen, die mit Xenias Kunst konfrontiert werden, Neues, Unerwartetes, Überraschendes zu erkennen gibt.
Kultur-Politik als die Fähigkeit, den Widerspruch zwischen autonomer Kunst und ihrer gesellschaftlichen Verortung als Beziehungsstifterin zwischen Menschen produktiv zu machen
Die Gegenüberstellung unterschiedlicher Einstellungen, welche Rolle, Funktion, Stellung Bedeutung oder Relevanz der Kunst in der Gesellschaft zukommt, wie ich sie anhand der beiden Ausnahme-Musiker-Persönlichkeiten zuzuspitzen versucht habe, birgt eine bislang weitgehend unbelichtete kultur-politischer Brisanz. Immerhin haben wir es hier mit einem unaufhebbaren Widerspruchsverhältnis zwischen dem, dem wir als Kunst ein Eigenleben zugestehen wollen und dem Umstand, dass Kunst außerhalb von Gesellschaft und ihren Beziehungen nicht gedacht werden kann. Es gilt also, ein Verhältnis zwischen den Autonomieansprüchen von Kunst (in Österreich eine späte kulturpolitische Errungenschaft) und der Notwendigkeit ihrer Kontextualisierung herzustellen, vor allem, wenn sie Anspruch auf öffentliche Wirksamkeit erhebt. Also müssen wir ihr beide, miteinander unvereinbare Eigenschaften zugestehen: Eigenständigkeit ebenso wie Eingebundenheit in einen gesellschaftlichen Rahmen, der sie ermöglicht ebenso wie er sie zu be- oder gar verhindern vermag. Beide Eigenschaften bedingen einander und machen erst in ihrer Zusammenschau die Relevanz dessen aus, was Künstler schaffen und damit die Art und Weise, wie wir Kunst in ihren unterschiedlichen Ausformungen erfahren.
Vieles spricht für die Vermutung, dass wir in der Fähigkeit, Kunst als eine soziale Konstruktion zu begreifen, an der alle Akteursgruppen ihren Anteil haben, noch ziemlich am Anfang stehen. Wenig hilfreich sind dabei alle unfreundlichen Unterstellungen, Kunst würde damit zu einer besseren Form der Sozialarbeit herabgewürdigt, um sich so jeglichen künstlerischen Qualitätsvorstellungen zu entziehen. Igor Levit beweist das schiere Gegenteil. Aber neue Role Models wie er stellen noch immer die Ausnahme dar in einem Kunstbetrieb, der sich – mehr als andere gesellschaftliche Teilbereiche – wesentlich aus altbewährten Denk- und Handlungsüberlieferungen speist.
Vermittlung als ein gesellschafts-politisches Projekt
Neben einer überfälligen Transformation der künstlerischen Berufsbilder (die zur Zeit entlang des einen oder anderen „transdisziplinären“ Ausbildungsgangs ausprobiert wird; siehe dazu etwas „Trans Arts – Transdisziplinäre Kunst“ an der Wiener Universität für angewandte Kunst) könnte der Vermittlung entscheidende Bedeutung zukommen. Verstanden als ein (gesellschafts-)politisches Projekt wird sie sich auf Dauer nicht darauf beschränken können, elementare Kenntnisse des Genres weiter zu geben oder in die institutionellen Gegebenheiten einzuüben. Stattdessen könnte sich ihre Hauptaufgabe darin erweisen, obiges Widerspruchsverhältnis zwischen Kunst und Mensch auf immer neue Weise produktiv zu gestalten und damit die Beziehungen zwischen Kunst und Künstler*innen und Nutzer*innen auf eine Weise neu zu gestalten, die allen, an diesem künstlerischen Kommunikationsprozess Beteiligten aus ihrem Schattendasein befreit und ihnen die, in einem demokratischen Gemeinwesen verbürgten Mitwirkungs- und Mitgestaltungsrechte einräumt. Der Qualität künstlerischen Schaffens täte dies keinen Abbruch, wohl eher das Gegenteil wäre der Fall.
Der Musikkritiker Daniel Ender käme aus einem solchen Format möglicherweise mit der Aussage: die Aufführung war ausgesprochen schön und gleichermaßen aufregend. Und ich als Zuhörer fühlte mich nicht mehr auf meine existentielle Einsamkeit in einem ernüchternden Diesseits zurückgeworfen sondern als Teil eines gemeinsamen Geschehens, das uns auferlegt ist, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln (also auch künstlerischen) mitzugestalten.