Der Kulturbetrieb als Disziplinierungsmaschine für ein bürgerliches Kulturverhalten von anno dazumal:

Im Einserkastl des Standard mokiert sich Gudrun Harrer heute darüber, dass zumindest Teile des Publikums einer britischen Musical-Produktion diese als mehr oder weniger orgiastisches Mitmachtheater missverstanden hätte.

Sie hätten sich nicht an die ungeschriebenen Gesetze der überkommenenen Aufführungspraxis mit ihrer rigiden Platzanweisung: Hier die aktiven Macher*innen auf der Bühne, dort die passiv-affirmierenden Rezipient*innen im Zuschauerraum gehalten. Sondern den Event als “greatest party in town” missverstanden. Nun würden die britischen Bühnen initiativ werden, um das Publikum wieder dorthin zurückdrängen, wo sie es haben wollen: als zahlende Stillsitzer*innen.

Ein Blick in die Vergangenheit des Kulturbetriebs (die Lektüre von Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation wäre ein guter Einstieg) könnte Harrer zeigen, dass der Betrieb schon einmal viel weiter war: Als es ganz normal war, dass Besucher*innen einen aktiven Part gespielt haben, ja – wie in der Rotunda de Ranelaph – im Zentrum des Geschehens gestanden sind, sich allenfalls von den Künstler*innen haben inspirieren lassen beim geselligen Reden, beim Essen, beim Trinken, allenfalls auch beim Kopulieren.

Zumindest eine Erinnerung wert, dass die Fähigkeit, über Stunden im Dunkeln zu sitzen, um Künstler*innen auf der Bühne zu affirmieren, vielleicht eine Voraussetzung war, um am rigid-normierten bürgerlichen Leben samt strenger kultureller Hierarchien teilzunehmen.

Mit dem kulturpolitischen Wollen der aktiven Mitwirkung an der Vielfalt des kulturellen Lebens hat das freilich immer weniger zu tun. Kulturpessimismus ist unangebracht

https://www.theguardian.com/stage/2023/apr/10/bodyguard-police-fighting-urinating-seats-ugly-new-side-of-theatre-audiences

https://www.derstandard.at/story/2000145387913/bloss-keine-greatest-party-in-town-ankuendigen

https://educult.at/wimmers-weekly/rotunda-de-ranelagh-fur-alle/