Wimmer’s Blog
Michael Wimmer schreibt regelmäßig Blogs zu relevanten Themen im und rund um den Kulturbereich.
Anhand persönlicher Erfahrungen widmet er sich tagesaktuellen Geschehnissen sowie Grundsatzfragen in Kultur, Bildung und Politik.
Es wird gerne gesagt, dass die Kunst ein Spiegel der Zeit sei
Gastblog von Gloria Benedikt – „Impuls I“ beim Symposium „Unsere Kultur geht auf keine Kuhhaut“
Es wird gerne gesagt, dass die Kunst ein Spiegel der Zeit sei. Aber wenn sich jemand im Jahre 2070 die heutigen Spielpläne der großen Bühnen etablierter Theater anschauen würde, entstünde der Eindruck, die Menschen hatten damals keine Ahnung, dass eine existenzielle Krise im Heranwachsen war.
Es wurden die gleichen Stücke gespielt wie in den Jahrzehnten oder Jahrhunderten zuvor. In den Geschichten, die auf den Bühnen erzählt wurden, ging es um Macht, Liebe, Rache, Verrat, Krieg, Frieden, Tod, Hoffnung, Vergebung, die Bedeutung des Lebens, also um Themen die schon die alten Griechen beschäftigt hatten. Im 19. Und 20. Jahrhundert waren noch neue Themen hinzugekommen: es ging um wirtschaftliche, geschlechterspezifische und rassenbasierte Diskriminierung und den Kampf um Gleichberechtigung.
All diese Themen hätten auch in Bezug auf die ökologische Krise, die immer mehr zu einer existenziellen Bedrohung wurde, verarbeitet werden können. Denn bei der von Wissenschaftler*innen empfohlenen Begrenzung des rapiden Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad, ging es ja nicht um 1,5 Grad. Es ging darum, umzulenken in eine Welt, die gesünder wäre – Stichwort: bessere Luft, weniger Gefahr für Pandemien, weniger Hitzewellen, weniger Ernteausfälle etc. – die gerechter wäre. Ja es ging um die Beendigung des jahrhundertalten Models der Ressourcengewinnung, das nicht erst mit der industriellen Revolution begonnen hatte, sondern mit der Kolonisation; und um eine Welt die sicherer wäre und um die Beendigung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, die weltweit Autokratien und Kriege, wie die russische Invasion in der Ukraine finanzierte.
Zusätzlich zu den klassischen Themen des Theater Kanons hätte es auch neue gebraucht. Zum Beispiel:
- die Beziehung zwischen Menschen und Natur
- die Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen von Menschen und allen Lebewesen
- das Zusammenspiel von menschlichem Verhalten und Technologie
- globale Kooperation
- und überhaupt: wie kommen wir aus dieser Sackgasse wieder raus?
‘Warum ist das nicht passiert? ’ – würden sich die im Jahre 2070 Recherchierenden vermutlich fragen: ‘Hatten die Menschen wirklich keine Ahnung? ’
Wenn sie dann über die Spielpläne der großen Bühnen hinaus recherchieren würden, kämen sie darauf, dass die Menschen schon etwas mehr gewusst haben. So schrieb der Schriftsteller Ben Okri im November 2021:
„It is not given to many people to sense the end of time approaching. Maybe some Atlanteans sensed it. Maybe the sages of Pompeii, if there were any, felt it in advance. Maybe those ancient civilizations whose societies were about to be wrecked by invaders from the sea felt it. But I can’t think of any who had the data that it was coming, who had the facts pouring at them every day, and yet whocarried on as if everything were normal.“
Er hat auch über die Notwendigkeit von einem neuen Genre geschrieben, er nannte es „existenzielle Kunst”. Und knapp über zwei Jahre zuvor hatte der Regisseur Peter Sellars in seiner Festrede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele gefragt: „Die Wissenschaft gibt uns noch genau 15 Jahre, um eine neue, eine ökologische Zivilisation zu schaffen. Und wo sind die Künstler?”
‘Es lag also offenbar nicht am Wissen, und auch nicht am Willen der Künstler’, würden die im Jahre 2070 Recherchierenden feststellen. ‘Da muss es irgendein anderes systemisches Problem gegeben haben’. Dazu möchte ich nun ein paar Anekdoten erzählen.
Ende September 2020, publizierte das Internationale Institut für Angwandte Systemanalyse – besser bekannt als IIASA – den 162-seitigen Bericht mit dem Titel „Science & Art for life’s sake“ – Wie die Zusammenarbeit von Künstlern und Wissenschaftlern die Nachhaltigkeitstransformation unterstützten kann”, dessen Autorin ich bin.
Ein paar Wochen später wurde ich in das Wissenschaftsminsterium eingeladen. Denn im neuen Regierungsprogramm stand unter Anderem, dass die Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft ausgebaut werden sollte. Zu meiner Freude war auch das Kulturministerium ranghoch vertreten um sich über Anregungen der geladenen Expert*innen zu informieren.
Mein Plädoyer zur Förderung von Künstler*innen zum Thema Klima et al. wurde damit kommentiert, dass man Künstler*innen doch nicht vorschreiben könne, mit welchen Themen sie sich auseinandersetzen sollen. Aus eigener Erfahrung konnte ich von Künstler*innen berichten, die dies tun wollten, aber eben nicht könnten, da es dazu keine Förderung gibt. Die Themensetzung sei Sache der Kunstinstitutionen, hieß es dann. Bis heute kann ich die Logik dieser Argumentation nicht nachvollziehen.
Selbstverständlich wird durch Kulturfinanzierung die Entscheidung getroffen was entstehen kann und was nicht, welche Künstlerin ihre Idee verwirklichen kann und welcher Künstler nicht. Das ist an sich keine problematische Realität, vorausgesetzt es gibt einen transparenten, demokratischen, nachvollziehbaren Prozess, der zu diesen Entscheidungen führt. Aber vielleicht haben wir im Laufe des Tages ja Zeit darüber ein wenig zu diskutieren…
Auf jeden Fall habe ich mich dann bei den Institutionen erkundigt. Auf Grund von Peter Sellars’ Plädoyer zur Schaffung einer ökologischen Zivilisation bei den Salzburger Festspielen, lag nahe, dort nachzufragen, ob zu diesem Thema nun gearbeitet wird. Ja, man bemühe sich die Produktionen und Gebäude umweltfreundlicher zu gestalten, war die erste Antwort. Als ich weiter gefragt habe ob auch inhaltlich etwas geplant sei, kam lange nichts. Und dann im vergangenen Herbst die Antwort –Zitat: es gebe “viele schon zugesagte zusätzliche Projekte und Beiträge, sodass leider tatsächlich keine Zeit mehr für weitere Themen bleibt”.
Mittlerweile wissen wir ein bisschen mehr wie Themen bestimmt werden. Zum Beispiel hat der deutsche Musikjournalist Axel Brüggemann im April aufgrund der aktuellen geopolitischen Lage recherchiert, dass es seit 2013 den ‘Verein der russischen Förderer der Salzburger Festspiele’ gibt. Diese Oligarchengruppe sei der Festspiel-Leiterin von einem ehemaligen Bundeskanzler nahegebracht worden. Der Verein fördert direkt Produktionen mit russischen Künstler*innen und russischen Ensembles.
In so einem Programmierungssystem kann die ökologische Krise, die noch dazu eng mit der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verbunden ist, natürlich schwer Platz finden.
Göttin sei Dank kann ich Ihnen nicht nur Anekdoten, sondern auch von konstruktiven Gesprächen berichten. Im Volkstheater wurde im vergangenen Jahr auf den kleineren Bühnen bereits zur existenziellen Krise aus verschiedenen Richtungen experimentiert. Aber das mit dem Programmieren für die große Bühne ist ein bisschen eine ‘chicken and egg’ Geschichte, habe ich herausgefunden. Wenn es die Stücke nicht gibt, kann selbst ein Intendant, der an einer Aufführung Interesse hätte, sie auch nicht programmieren. Also wenn die Künstler*innen nicht die Rahmenbedingungen haben, um an diesen neuen Themen zu arbeiten, können sie diese Stücke auch nicht schreiben.
Hier einige Beispiele von offenen Fragen auf künstlerischer Seite:
Damit meine Arbeit gut recherchiert ist, und die fundamentalen Fragen, die es zu beantworten gibt, behandelt werden, müsste ich mich mit Wissenschaftler*innen austauschen.
- Wie kann ich die finden? Und wären sie breit mit mir zu arbeiten?
- Wie verarbeitet man auf der Naturwissenschaft basierende Themen?
- Welche Art von Geschichten oder Stücken wären sinnvoll?
Gemeinsam mit Kolleg*innen habe ich einen Leitfaden geschrieben um diese Fragen zu beantworten. Aber um diese Arbeit zu fördern, bräuchte es Laboratorien, wo diese Künstler*innen sich mit Kolleg*innen austauschen können, die bereits Erfahrung haben, wo sie sich mit Wissenschaftler*innen unterhalten und vernetzten können usw.
Die Fragen, die ich nun aus diesen Gesprächen resultierend in den Raum stellen möchte, sind:
- Wo wäre der richtige Ort für so ein Laboratorium?
- Wäre das eine Aufgabe für eine Universität?
- Oder der Kunstinstitutionen selbst?
- Und wessen Aufgabe wäre es, eine finanzielle Förderschiene dafür einzurichten?
- Wer trägt hier die Verantwortung?
Ich habe diese Fragen jetzt gestellt, damit die im Jahre 2070 Recherchierenden feststellen können, dass sich dann – spät aber doch – etwas Grundlegendes verändert hat, in den 2020er Jahren.
Bild: Gloria Benedikt und Mimmo Micolis © Morgan Marinoni