Wimmer’s Blog
Michael Wimmer schreibt regelmäßig Blogs zu relevanten Themen im und rund um den Kulturbereich.
Anhand persönlicher Erfahrungen widmet er sich tagesaktuellen Geschehnissen sowie Grundsatzfragen in Kultur, Bildung und Politik.
Engagement, Gesetz und Kultur
Zum Beitrag von Herbert Nichols-Schweiger zur steirischen Kulturgesetzgebung
Die Erfindung des „Kulturlandes Österreich“ nach 1945 stellt eine herausragende Erfolgsgeschichte dar.[1] „Kultur“, zumal in Form eines vordemokratischen kulturellen Erbes hat wesentlich zur raschen Konsolidierung eines nationalen Selbstverständnisses nach innen wie als touristische Attraktion nach außen beigetragen. Umso erstaunlicher ist es, dass das österreichische Verfassungsrecht keinen expliziten Kulturauftrag des Staates vorsieht; das Wort „Kultur“ kommt in keinem Verfassungstext vor. Explizit angeführte Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenzen beziehen sich auf einige wenige Angelegenheiten wie den Betrieb der Bundestheater und der Bundesmuseen, darüber hinaus auf den Denkmalschutz, das Urheberrecht sowie auf das gewerblich betriebene Verlags-, Agentur- und Galeriewesen.
Artikel 15 der Bundesverfassung sieht vor, dass alle nicht explizit dem Bund zugewiesenen Angelegenheiten zum selbständigen Wirkungsbereich der Länder gezählt werden. Daraus wird gerne eine primäre Zuständigkeit der Länder in Form ihrer „Kulturhoheit“ abgeleitet, auch wenn diese schon mal als „reine Fiktion im tatsächlichen föderalistischen Geschehen“ bezeichnet wird.[2]
Immerhin steht diesem Anspruch der Länder auf „ihre Kultur“ Artikel 17 der Bundesverfassung entgegen, wonach es allen Gebietskörperschaften, damit Bund, Länder und Gemeinden gleichermaßen möglich ist, als „Träger von Privatrechten“ jede beliebige Staatsaufgabe wahrzunehmen. Auf dieser Form der Privatwirtschaftsverwaltung fußt die gesamte Kunst- und Kulturförderpraxis der Gebietskörperschaften, die sich damit ein weites kulturpolitisches Aktionsfeld geschaffen haben.
Im Prozess der rechtlichen Festschreibung kulturpolitischen Handelns haben die Bundesländer eine Vorreiterrolle übernommen. Den Beginn machte Vorarlberg 1974, es folgten Tirol 1979, Salzburg und das Burgenland 1980, Niederösterreich 1982, die Steiermark 1985, gefolgt von Oberösterreich 1987 und Kärnten 1992. Die Gesetzestexte haben mittlerweile eine Vielzahl an Novellierungen erfahren. Ausschließlich das Land Wien als bei weitem größter Einzelförderer hat sich bis heute zu keiner gesetzlichen Regelung durchringen können.
Dass es vor allem im Bund-Länder-Verhältnis überschneidende, zum Teil aber auch konkurrenzierende Ansprüche gibt, wurde erstmals im Zuge der Verankerung der „Freiheit der Kunst“ in der Bundesverfassung 1982 deutlich. Damals sprach sich die regierende Sozialdemokratie für einen Zusatz aus, wonach eine Förderverpflichtung aller Gebietskörperschaften festgeschrieben werden sollte. Die Konservativen, aber auch die Ländervertretungen sprachen sich gegen eine solche Verfassungsbestimmung aus, durch die sie ihre „Kulturhoheit“ gefährdet sahen. Der Kompromiss bestand in der Beschlussfassung eines Bundeskunstförderungsgesetzes 1988, das sich darauf beschränkte, mit Hilfe der Kriterien „Innovation“, „Beispielhaftigkeit“ und „überregionale Bedeutung“ die Selbstbindung des Bundes so zu fassen, dass sich die Bundesländer in ihrer kulturellen Eigenständigkeit nicht in Frage gestellt sahen.
In diesen rechtlichen Rahmenbedingungen ist es mittlerweile zu einer unüberschaubaren Vielfalt von Fördermaßnahmen gekommen, die wesentlich zum Ausbau einer über das ganze Land verteilten kulturellen Angebotsstruktur geführt haben. An dieser haben alle Gebietskörperschaften ihren Anteil, was sich u.a. in der Verteilung der Fördermittel im Verhältnis Bund 37%, Länder 37% und Gemeinden 26% ablesen lässt.[3]
Dem Chor der positiven Stimmen, der diese Entwicklung – auch im Vergleich zu anderen Ländern – begleitet, haben sich zuletzt vermehrt kritische Kommentare hinzugemischt, die von einem unübersichtlichen „Förderdschungel“ sprechen, der selbst kleinen Förderwerber*innen ein beträchtliches Knowhow abverlangen würde, um da noch durchzublicken. Das aktuelle Programm der Bundesregierung hat darauf reagiert und sich zu einer Entwicklung einer „Kunst- und Kulturstrategie“ verpflichtet.[4] Dort heißt es: „Unter Einbeziehung aller Gebietskörperschaften und mit Partizipation der Kulturinitiativen, Künstlerinnen bzw. Künstler sowie Kulturarbeiterinnen und Kulturarbeiter soll in einem strukturierten Verfahren eine Kunst und Kulturstrategie entwickelt werden.“ Zum Zeitpunkt der Abfassung des Beitrages kann noch nicht abgeschätzt werden, ob diese Bemühungen zu einer nachhaltigen Neufassung der Kunst- und Kulturzuständigkeiten zwischen Bund und Ländern führen werden.
Die hier angedeutete Entwicklung auf gesamtstaatlicher Ebene kann gut auf das Land Steiermark übertragen werden. Dort war es der Kulturredakteur Herbert Nichols-Schweiger, der sich bereits in den 1970er Jahren vehement für den Ausbau eines auf Zeitgenossenschaft gerichtetes kulturellen Lebens im Land eingesetzt hat. Dazu gehörte auch ein Blick nach Deutschland, wo sich die Länder um eine gesetzliche Verankerung ihrer Förderpraxis bemüht haben. Als Pressereferent verstand er es, den für Finanzen zuständigen Landesrat Christoph Klausur für ein steirisches Kulturfördergesetz zu gewinnen, zumal sich dieser für mehr Transparenz auch im Bereich der Kulturförderpraxis interessierte.
Herbert Nichols-Schweiger entwarf einen ersten Entwurf, der vor allem die Veröffentlichung eines jährlichen Kulturberichts sowie die Installierung eines Kulturbeirats als ein die Politik beratendes Gremium vorsah. Mit dem Koalitionspartner ÖVP einigte man sich, ein Programm „Kunst am Bau“ zu integrieren und kam 1985 zu einer gemeinsamen Beschlussfassung eines insgesamt als beispielhaft verhandelten „Steiermärkischen Kulturfördergesetzes“.
Es brauchte freilich bis zum Ende der 1980er Jahre, bis erste Berichte erscheinen, die zumindest ex post einen Überblick über die Art und Ausmaß der Förderungen ermöglichen sollten. Der Initiator dieses Gesetzgebungsprozesses setzte sich damals für eine breitere öffentliche Diskussion aktueller Themen ein, in der Hoffnung, nicht nur unmittelbar betroffene Förderwerber*innen, sondern insgesamt mehr Menschen für Kulturpolitik interessieren zu können. Dieser Anspruch findet sich auch im Gesetz wieder, wenn dort bis heute „eine zum Verständnis und zur Kritik befähigte Öffentlichkeit“ als Ziel formuliert wird. Dazu sollte auch die Installierung eines „Kulturbeirates“ dienen, dem – zusammengesetzt aus Vertreter*innen der Zivilgesellschaft – die Aufgabe zukommen sollte, die steirische Kulturpolitik in grundsätzlichen Fragen zu beraten.
Wie in allen anderen Landesfördergesetzen erlauben die Fördergrundsätze keine Interpretation eins subjektiven Rechts eines Förderwerbers. Der Ermessensspielraum des Fördergebers bleibt erhalten; die Beispielswirkung des Gesetzes aber ergibt sich aus einer Verpflichtung, die Förderentscheidungen inhaltlich zu begründen, egal ob diese positiv oder negativ ausfallen.
Im weiteren Verlauf fand sich Herbert Nichols-Schweiger mit Haimo Steps[5] zusammen, der zu Beginn der 2000er Jahre als Referent beim Kulturlandesrat Gerhard Hirschmann tätig war. Steps monierte eine Abkehr einer überbordenden Projektförderung und sprach sich für eine Mehrjahresförderung zumindest einiger ausgewählter Akteur*innen aus. Nach einem mehrjährigen Prozess kam es schließlich zur parteiübergreifenden Verabschiedung eines neuen „Steiermärkischen Kunst- und Kulturfördergesetzes“ im Jahr 2005, das in seinen Grundzügen bis heute wirksam ist.[6]
Mit dem Kulturlandesrat Christian Buchmann kam es 2012 zu einer ersten Novellierung, die vielerorts als eine Verschlechterung interpretiert wurde. In Zweifel gezogen wurde vor allem die Reduktion der Förderbereiche sowie der Zusammenschluss des Förderbeirates, der sich bislang mit den konkreten Förderentscheidungen beschäftigt hat und einem Kulturbeirat, der als ein kulturpolitisches Steuerungsinstrument dienen sollte. Beide Institutionen wurden mit der Neufassung zu einem Kuratorium zusammengeführt, das sich seither vorrangig mit einer Vielzahl von Einzelförderungen beschäftigt während die strukturelle Beratungskompetenz der Teilnehmer*innen unausgeschöpft bleibt. Die negativen Konsequenzen lassen sich auch an den Zahlen ablesen, wenn des Landeskulturbudget in den letzten Jahren stagniert ist und erst im Zeichen der Pandemie erstmals wieder eine nachhaltige Steigerung erfahren hat.[7]
Anschließend an den legendären Kulturpolitiker Hans Koren aus den 1960er Jahren versucht der Kulturlandesrat und nunmehrige Landeshauptmann Christopher Drexler seit 2021, die steirische Kulturpolitik im Rahmen einer „Kulturstrategie 2030“[8] neu aufzusetzen. Unter Leitung von Heidrun Primas und Werner Schrempf wurde ein breiter Diskussionsprozess in Gang gesetzt, der die Einbeziehung der Akteur*innen in den sieben Zentralregionen des Landes vorsieht. Es stellt dies ein explizites Abgehen von einem bewährten Top-down-Prinzip dar und schließt damit an manche Grundidee von Herbert Nichols-Schweiger an, die mit der Einladung zur breiten Beteiligung zum Beschluss des ersten Landeskulturfördergesetzes 1985 geführt hat.
Noch lässt sich nicht sagen, ob und wenn ja in welcher Form die Ergebnisse des laufenden Strategieprozesses Eingang in eine mögliche Weiterentwicklung des Steirischen Kunst- und Kulturfördergesetzes finden werden. Unwidersprochen ist, dass eine gesetzliche Grundlegung bis heute einen zentralen Sicherheitsanker bei der Gewährleistung einer regionalen Kulturförderpraxis darstellt. Aber ebenso deutlich wird, dass wesentliche Ziele, wie etwa eine „ausgewogene Verteilung der Fördermittel“ angesichts des Fortwirkens einer eklatanten Ungleichbehandlung des institutionellen und des freien Bereichs bislang uneingelöst geblieben sind.
Wenn das bestehende Fördergesetz nach wie vor zentral auf die „Förderung von künstlerischer Qualität“ setzt, so macht der aktuelle Kunstbetrieb die Grenzen ihrer „amtlichen“ Bestimmbarkeit immer deutlicher. An ihre Seite sind neue Kriterien getreten, die in Form von Diversität, soziale Ungleichheit, Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Ko-Kreation und Kooperation oder Fair Pay zunehmend die Realisierungsbedingungen künstlerischer Praxis bestimmen. Geht es nach Herbert Nichols-Schweiger, der in den letzten Jahren als Geschäftsführer der Steirischen Kulturinitiative die kulturpolitische Entwicklung aus der Sicht der Praxis kritisch verfolgt hat, dann wären das zentrale Themenstellungen auch für das Kuratorium, das sich mit ihrer Behandlung noch einmal als ein Ort der Antizipation künftiger kulturpolitischer Szenarien empfehlen könnte.
Die Steiermark hat nicht zuletzt mit seinem beispielhaften Kunst- und Kulturförderungsgesetz einen wesentlichen Beitrag zur „Kulturnation Österreich“ geleistet. Diese sieht sich gerade einem umfassenden Transformationsprozess ausgesetzt, der auch vor dem Kulturbereich nicht Halt macht. Die Zeichen stehen günstig, dass die Steiermark dabei einmal mehr eine Vorreiterstelle wahrnehmen wird.
[1] https://orf.at/stories/3166707/
[2] Weber, K. (1980): Kriterien des Bundesstaates – Eine systematische, historische und rechtsvergleichende Untersuchung zur Bundesstaatlichkeit der Schweiz, der Bundesrepublik Deutschland und Österreich Wien
[3] https://www.statistik.at/fileadmin/publications/Kulturstatistik-2020.pdf
[4] https://www.open3.at/regierungsprogramm/01-03-Kunst-Kultur.html
[5] Kultursekretär der Landeskulturreferenten Kurt Jungwirth, LH Josef Krainer und Gerhard Hirschmann als Missing Link zwischen Politik und Künstlern und Kulturarbeitern
[6] https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=LrStmk&Gesetzesnummer=20000802
[7] https://www.politik.steiermark.at/cms/beitrag/12853757/2494255/
[8] https://www.kultur.steiermark.at/cms/ziel/166488655/DE/