Wimmer’s Blog
Michael Wimmer schreibt regelmäßig Blogs zu relevanten Themen im und rund um den Kulturbereich.
Anhand persönlicher Erfahrungen widmet er sich tagesaktuellen Geschehnissen sowie Grundsatzfragen in Kultur, Bildung und Politik.

15/06/2022
Kulturpolitisches Manifest “Unsere Kultur geht auf keine Kuhhaut”
Im Rahmen der Konferenz “Unsere Kultur geht auf keine Kuhhaut” ist ein kulturpolitisches Manifest entstanden.
- Die Zeiten sind vorbei, in denen Künstler*innen mit allen Sinnen etwas vormachen und die anderen dieses möglichst unsinnlich rezipieren ist vorbei.
- Künstler*innen müssen lernen, dass sie ein Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse sind. Sie sind per se nicht Avantgarde, sondern Ergebnis dessen, was ist. Und stabilisieren diese. Diese Erkenntnis ist die Grundvoraussetzung dafür, dass zumindest einige wenige darüber hinausweisen können.
- Weite Teile des Kulturbetriebs beruhen auf den traditionellsten Organisations- und Führungsformen, die in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen längst obsolet geworden sind. Keine perspektivische Kulturpolitik ohne umfassende Transformation der Betriebsstrukturen.
- Eine Kulturpolitik ohne konzeptive Grundlagen hat keine Zukunft. Eine solche bedarf einer klaren Benennung der kultur-politischen Interessen, für die sie steht.
- Kulturpolitik bedeutet nicht Anwaltschaft für ausgewählte Künstler*innen. Kulturpolitik hat das Gemeinwesen im Blick, in dem künstlerisches Tun auf immer neue Weise Relevanz gewinnt.
- Die Zeiten einer produktionsorientierten Kulturpolitik sind vorbei – Sie wird ihre intellektuellen, inhaltlichen, personellen und materiellen Ressourcen künftig in gleicher Weise auf Produktion, Vermittlung und Rezeption aufteilen.
- Die Zeiten des künstlerischen Individualismus sind vorbei – Kunst, die nicht im Zusammenwirken mit denen entsteht, für die sie gedacht ist, wird immer weniger gebraucht.
- Die Zeiten enger Spartengrenzen sind vorbei – Sinnliche Erfahrung lässt sich immer weniger in enge Spartengrenzen fassen – das gilt für die Akteur*innen ebenso wie für Institutionen und die (Kultur-)Politik, die sich zunehmend als eine Querschnittmaterie wird aufstellen müssen.
- Dem öffentlichen Fördersystem ist der Qualitätsbegriff abhandengekommen – umso wichtiger die Arbeit an neuen außerkünstlerischer Förderkriterien wie faire Arbeitsbeziehungen, Schaffung neuer Kooperationen, nachhaltiger Ressourceneinsatz, Bearbeitung relevanter gesellschaftlicher Fragen, Durchsetzung demokratischer Ansprüche, Berücksichtigung der Diversität der Adressat*innen.
- In einer Phase umfassender Ökonomisierung brauchen wir einen neuen Begründungszusammenhang für künstlerisches Tun – dieser ist ohne Neufassung der Arbeitswelt nicht zu haben.
- Die Hoffnung auf Aufrechterhaltung einer klaren Unterscheidbarkeit von digitalem und realem künstlerischem Handeln führt in die Irre.
- Die Bezugnahme auf lokale, regionale oder nationale Besonderheiten verliert an Bedeutung. Kunst ist per se grenzüberschreitend. Die Förderung grenzüberschreitender Kooperationsformen ist der entscheidende Förderhebel.