Wimmer’s Blog
Michael Wimmer schreibt regelmäßig Blogs zu relevanten Themen im und rund um den Kulturbereich.
Anhand persönlicher Erfahrungen widmet er sich tagesaktuellen Geschehnissen sowie Grundsatzfragen in Kultur, Bildung und Politik.
„Nur wenn alle drei P‘s – Produktion, Publikum und Politik – bedacht werden, kann Veränderung eintreten“
Gastblog von Marc Grandmontagne – „Impuls II“ beim Symposium „Unsere Kultur geht auf keine Kuhhaut“
Ich bedanke mich für die Einladung, hier heute „einen Streit verkünden“ zu dürfen und habe mich zu Anfang gefragt, ob das der richtige Begriff ist. Denn nach eigenem Empfinden haben wir wirklich keinen Mangel an Streit und Kritik, dafür eher eine gewisse Routine darin, auf Kulturkonferenzen in der eigenen Bubble zusammenzutreffen und uns in der uns eigenen Sprache seufzend mitzuteilen, wo denn der Schuh dieses Mal besonders drückt, dass es zu wenig Geld gibt und wann endlich die heiß ersehnte Wertschätzung für uns, die KULTUR kommt. Ich begreife die nächsten Minuten also als eine Möglichkeit, ein paar Thesen in den Raum zu stellen, denen nach Herzenslust zugestimmt oder widersprochen werden sollte. Dabei habe ich mich völlig subjektiv von dem leiten lassen, was mir den Hut hochgehen lässt, das erhöht die Chance, Sie nicht zu langweilen und vielleicht den einen oder anderen Treffer zu erzielen. Zumeist berichte ich aus deutscher Perspektive, da ich erst seit sechs Monaten in Wien lebe und aufgrund meiner Erfahrung arbeite ich mich zumeist am Theater ab. Um die Sache ein bisschen zu strukturieren, habe ich vier Thesen gebildet, die nach einer kurzen Darstellung des Status Quo folgen werden.
Wie ist die Situation?
Corona – man will es kaum mehr hören – WAR eine Zäsur. Die Pandemie hat viele Defizite und Probleme offengelegt, die zweifelsohne vorher schon da waren, aber im funktionierenden Betrieb überspielt wurden. Viel haben wir gelernt über unsere eigene Sichtweise und die der Anderen, die uns leider nicht die Bedeutung zugemessen haben, die wir uns selbst geben würden. Nirgendwo ist das Publikum auf die Straße gegangen und hat die Öffnung von Theatern, Konzerthallen und Museen gefordert, der Politik waren wir (zunächst) egal, es gab viele Kränkungen, aber schlussendlich auch viel Geld, wenn auch nicht für alle. Soziale Bruchstellen zu den freien Künstler*innen sind in aller Brutalität manifest geworden, viele haben hingeschmissen und machen jetzt was Anderes.
Viel wurde von Transformation geredet, ein Hashtag jagt den nächsten (Agilität, Nachhaltigkeit, Kreativität, Diversität, Antirassismus, Digitalität, Enthierarchisierung, Ende des Patriarchats – um nur ein paar Beispiele zu nennen), jede*r, der*die was auf sich hält, nennt sich heute AKTIVIST*IN und kämpft gegen Lähmung und Beharrung für eine gerechtere Welt. Die Agenden werden nur noch aus Schlagworten gebildet, alle haben eine Meinung, viele keine Ahnung. Komplexität und Kontextualität sind bisweilen Fremdworte. Strukturen, Organisationen und Hierarchien werden infrage gestellt und gleichzeitig mit Forderungen und Erwartungen geradezu überschüttet, wehe, es wird nicht geliefert. Das Publikum ist nicht in Gänze zurückgekommen, jedenfalls nicht bei allen, einige allerdings haben Corona längst wieder ad acta gelegt und Transformationsfantasien oder -ängste mit dem Mantel ungeheurer Betriebsamkeit zugedeckt. Die öffentliche Hand hat beeindruckende Schulden aufgenommen, was zumindest auf kommunaler Ebene ganz sicher auch die Kultur wird ausbaden müssen. Und jetzt? Grundsätzlich steht fest: Es gibt kein Zurück mehr und es wird nicht mehr wie vorher. Es gibt des Weiteren keinen Erkenntnismangel, sondern einen Umsetzungsmangel. Statt immer nur über das WAS, sollten wir vielleicht eher über das WIE sprechen.
Vier Thesen, um der eigenen Hilflosigkeit zu entkommen
1. Es fehlt nicht an Geld, sondern an Haltung, vor allem der Politik.
Bei aller auch berechtigten Kritik an den aktuellen Zuständen des sogenannten Kulturbetriebs sei daran erinnert, dass auch diese Situation ihre Vorgeschichte hat. Die verfassungsrechtliche Schranke der Kunstfreiheit schafft eine wünschenswerte Barriere zum Staat, die ihm verbietet, sich in inhaltlichen Fragen der Kunst einzumischen. Diese Erkenntnis ist teuer erkauft und ist ein Segen. Sie schafft allerdings gleichzeitig ein praktisches Paradoxon, denn wie soll der Staat etwas fördern, aus dem er sich raushalten muss? Hier zeigt sich eben die Schnittstelle zwischen Kunstfreiheit und Kulturpolitik: Aus der Kunst hält sich der Staat raus, die kulturpolitischen Rahmenbedingungen darf er setzen: Ob Geld geschlechtergerecht oder klimagerecht ausgegeben werden muss, ob und wie die Führungskultur an Häusern ist – all das sind Fragen, die der Geldgeber und Rechtsträger, also die Politik, beeinflussen kann. Vielleicht sogar muss. Viel zu lange haben sich unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit Gebräuche eingeschlichen, die nicht hinterfragt wurden, #metoo war ein Eye-Opener in diesem Zusammenhang, ebenso die längst überfälligen Vergütungsdebatten. Die Politik hat Theater nie wie „reguläre“ Arbeitsstätten behandelt, sie waren Orte der Anarchie und des Exzesses, entscheidend war gute Kunst, der Preis war egal.
So wurden Theater auch die besten Lobbyisten für sich selbst und die Politik erschöpfte sich in der jährlichen finanziellen Förderung. So war die Zeit, nun ist es nicht mehr so. Alle Beteiligten müssen in den Feldern, die nicht Kunst sind, ihre Rolle und Plätze neu finden, das geht nur zusammen. Nur wenn alle drei P‘s – Produktion, Publikum und Politik – bedacht werden, kann Veränderung eintreten. Wir BRAUCHEN eine starke Kulturpolitik, eine mit HALTUNG und eine, die komplexitätsangemessen ist und auf Sonntagsreden verzichtet. Tiefenbohrungen und stetiges Handeln, ja der sprichwörtliche lange Atem ist vonnöten, um Ausrichtung und Betriebsstrukturen zu transformieren. Nachhaltige Kunstproduktion braucht Rahmenbedingungen, die nur der Staat geben kann. Verändertes Theater braucht politischen Rückhalt, um die Konflikte in der Publikumsentwicklung aushalten zu können, wenn sich enttäuschte Abonnent*innen abwenden und neues Publikum in die Häuser soll, ist das ein konfliktreicher, emotionaler und am Ende auch finanziell fordernder Prozess, der 5-6 Jahre betrieben werden muss. Intendant*innen und Geschäftsführer*innen brauchen Unterstützung und ja, sie brauchen Regeln und Kontrolle, damit Machtmissbrauch erschwert wird. All das kann aber nur funktionieren, wenn die Kulturpolitik Haltung zeigt und die Frage nicht scheut, die es zu diskutieren gilt: Wozu brauchen wir die Kunst? Das Theater? Das Museum? Das freie Kollektiv? Was wollen wir damit? Warum soll der Steuerzahler das bezahlen? Erwartet wird kein philosophisches Grundsatzreferat, sondern eine klare Haltung zu immateriellen Werten des Gemeinwesens wie Kunst & Kultur, Bildung und Daseinsvorsorge in einer Stadtgesellschaft. Kulturpolitik ist kein Annex der hohen Politik, ganz im Gegenteil sie ist das Diskursobersystem der Gesellschaft, denn kein anderes Politikfeld ist OHNE Kultur denkbar. Kindergärten, Schulen, Sportstätten – all das sind auch Orte der Kulturpolitik. Die Kulturpolitik muss raus aus der Marginalisierungsecke, wir brauchen gemeinsame Ansätze für Kultur und Bildung, Kultur und Sport, Kultur und Jugend usw. Die Gesellschaft brennt vor relevanten kulturellen Fragen der Zusammenarbeit, warum bitte greift die Kulturpolitik das nicht auf? Hier müssen sich auch die politischen Strukturen ändern. Ein Theater soll nicht gefördert werden, weil es im Haushalt der Stadt steht, sondern weil es eine aktuelle Notwendigkeit ist. Auch eine emotionale. Dann stellen sich keine abstrakten System- oder Relevanzfragen mehr, sondern dann ist genug Geld da.
2. Still ruht das Feuilleton
Der Diskurs ist laut und schnell geworden, insbesondere durch Social Media. DIE EINE Öffentlichkeit gibt es schon lange nicht mehr, sie ist in eine Vielzahl von Teilöffentlichkeiten zerfallen, so wie der Diskurs halt immer vielfältiger wird. Im Guten wie im Schlechten, auch Fake News gehören zu diesem Phänomen. Umso wichtiger, eine Lanze für sauberen und komplexen Journalismus zu brechen und ihn strukturell zu verankern. Übrigens auch eine Frage, die nicht mit der entsprechenden Konsequenz aus den Entwicklungen der letzten Jahre betrieben wird. Auch der Kulturjournalismus stirbt zusehends (rechnet sich halt nicht, kann dann weg!) und der, der noch da ist, erschließt sich immer weniger Menschen. Was auch damit zu tun hat, dass er bisweilen ein Bild des Jammers abgibt. Was ist denn passiert im Feuilleton im ersten Lockdown? Richtig, NICHTS. Ausnahmen bestätigen die Regel. Es mangelt zwar nicht an beeindruckend formulierten Kritiken, die vor allem diejenigen, die dabei waren, nachvollziehen könnten, aber kulturpolitisch und strukturell greift man oft ins Leere. Zukunftsfragen? Visionen? Kulturelle Fragen unserer Zeit? Fehlanzeige. Dabei verwundert es dann nicht, dass eine mir bekannte renommierte Feuilletonistin einer großen deutschen Tageszeitung in einem Gespräch erstmal nachfragen musste, welche Tarifverträge da eigentlich für wen am Theater gelten. Klar, ist nicht ihr Job, aber wo ist der Ethos? Was sie selbstverständlich nicht davon abhält, bitterböse Artikel über die Ausbeutung am deutschen Theaterwesen zu formulieren. Das zeigt aber höchstens: Mindestens so abgehoben, wie vom Feuilleton geziehen, ist nicht nur das Theater, sondern das Feuilleton selbst. Und vielleicht sind einige der Probleme des Theaters ja in Wirklichkeit Probleme des Feuilletons? Jedenfalls haben sich Theater und Feuilleton ganz gut eingerichtet in ihrer symbiotischen Beziehung. Und irgendwie braucht man ja auch beide, aber bitte nicht so. Toxisch würde man das vermutlich in der Psychologie nennen. Und last but not least steht die Sprachlosigkeit dieses Resonanzmediums symbolisch für eine Gesellschaft, die müde geworden und längst mit anderen Dingen beschäftigt ist, vor allem mit sozialem Überleben. Trends und gesellschaftliche Debatten finden woanders statt, auch das Feuilleton sollte stärker versuchen, sich nicht weiter überflüssig zu machen, sondern neue Wege zu suchen. Denn wir brauchen den öffentlichen Raum der Kunstkritik als Resonanzraumgesellschaftlicher Debatten. Und einen Hoffnungsschimmer gibt es ja: Während die hier vorgestellte Analyse vor allem das gedruckte Feuilleton meint, tut sich im digitalen Raum erstaunlich viel, vielleicht wächst hier ein neues digitales Feuilleton?
3. Der Unterschied zwischen Selbstreferenzialität und Selbstreflexivität
Es ist kompliziert an den deutschsprachigen Bühnen: Ich habe selten so viel Bereitschaft zur Reflexion gesehen wie in Runden mit Theaterschaffenden. Es wird hinterfragt, kritisiert und gezweifelt bis zum persönlichen Streit. Das ist gut, das hat das Theater immer leben lassen, Unfertigkeit und die Versagung der Zielerreichung hat viel große Kunst ermöglicht. Problematisch ist nur, dass die Gesellschaft, in der wie leben, immer weniger bereit ist, dieses Angebot anzunehmen. Verkürzt kann man sagen: Diese Bemühungen haben im Leben vieler Menschen wenig Relevanz, daher kommt es nicht zur Resonanz (H. Rosa). Je mehr sich Theater nun bemühen, alles richtig zu machen, desto eher laufen sie Gefahr, von der selbstreflexiven Kunst in die Falle der Selbstreferentialität zu tappen (F. Malzacher). Björn Hayer hat in der taz vom 2.6.22 einen eindrucksvollen Artikel dazu geschrieben mit dem Titel: Spielst Du noch oder lehrst Du schon? Hayer geht hart ins Gericht mit den deutschen Theatern in ihrem Umgang mit Gender- und Identitätspolitik und schreibt:
„Es soll hier nicht bezweifelt werden, dass solche Inszenierungen tatsächlich noch immer zu beklagende Missstände anprangern und ein Wegsehen oder Totschweigen von dieser Realität gänzlich fehl am Platz wäre. Nur muss die Frage erlaubt sein, was die schiere Häufung derartig gelagerter Aufführungen überhaupt im Theater bezwecken soll und wen sie adressieren? Werden sie wirklich von denen nachdenklich wahrgenommen, die für die desaströsen Zustände verantwortlich sind oder zeigen sich nicht vielleicht doch Tendenzen einer zunehmend selbstzirkulären Theaterbranche? Sicher ist davon auszugehen, dass ein Großteil des zumeist emphatisch applaudierenden Publikums sich völlig auf der Höhe des aktuellen Diskurses um Gerechtigkeit bewegt. Es ist bestens zu Hause in den universitären Debatten über Patriarchalismus und Kolonialismus, wie sie von Schriften einer Judith Butler oder einer Donna Haraway motiviert wurden. Nimmt man dies an, so dienen die Bühnenanklagen zumeist augenscheinlich der Bestätigung einer gewiss wichtigen, kritischen Weltsicht. Was dieses von Oberseminaren inspirierte Theater allerdings nur noch begrenzt einlöst, ist das Versprechen der Alterität. Es bietet kaum Raum für Überraschungen oder emotional tief ergreifende Augenblicke, es mangelt ihm an Reibungsfläche und Widerständen, die einen zum auch einmal unbequemen Überdenken eigener Haltungen provozieren.“ Und weiter: „…sobald das Theater gebetsmühlenartig seinen zumeist ohnehin in der Sache schon sensibilisierten Zuschauerinnen und Zuschauer immer wieder dieselben Botschaften präsentiert oder – zugespitzt gesagt – es darüber belehrt, verliert es einen Teil seiner Schlagkraft. Und nicht nur das, es wird auf eine paradoxe Weise unpolitisch.“
Lassen wir diese Sätze nachklingen und fragen uns, was diese Ausführungen paradigmatisch für den Kulturbereich bedeuten? Was bedeuten sie in einer Welt, in der Lebenswirklichkeiten und Kommunikation dank Algorithmen immer spezifischer milieugeneigt erfolgen? Filter Bubbles? In der Menschen wider aller Objektivität absoluten Unsinn behaupten und längst in einer Art Gegenwelt leben? In der Teile aus Angst vor Shitstorms und dem Furor sich komplett aus der öffentlichen Kommunikation zurückziehen, weil sie (auch) überfordert sind? Was heißt das für die Demokratie? Was heißt das für die Kunst, die so schwach und so stark ist, weil sie NICHT mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt läuft? Wo sind Zwischenräume, Zwischentöne und Alterität hin? Wo gibt es noch Widersprüche, die wir aushalten? Was heißt das für unsere Theater, Museen und Bibliotheken als öffentliche Räume?
4. Die Diktatur des Bürokratiats
Der Titel entstammt einem großartigen Essay des deutsch-österreichischen Journalisten Wolf Lotter: „Alle halten sich für kreativ. Doch unsere Kultur produziert Verwalter am laufenden Band.“ Früher kamen auf einen Kreativen, also einen, der ein Problem anpackt und löst, neun Verwalter. Heute sind es 99. Siehe Bild. Das ist die Ausgangsthese von Wolf Lotter. In diesem Essay geht es nicht um GUTE Verwaltung. Wir alle sind darauf angewiesen, dass der Müll abgeholt wird und der Bus fährt. Dass ich zum Arzt kann und versichert bin. Dass es Strom, Wasser und Energie gibt. Lotter arbeitet sich an der bösen Schwester ab: Der Bürokratie. Kennen Sie alle. „nicht zuständig“, „haben wir immer so gemacht“ sind nur die harmlosen Vorboten. Es gibt eine neue Care- und Controllingbürokratie, in der es nur so an Beauftragten und Zuständigen wimmelt, die allen anderen (also auf dem Foto dem Herbert) die Welt erklären, Vorschriften und Regeln erlassen und es immer schwieriger machen, den eigentlichen Job zu machen. Beispiel gefällig? Die deutsche Bundeswehr: 100 Mrd. bekommen sie, aber die Politik hat Angst, dass das Geld verpufft, weil die eigentliche Schwierigkeit die Reformierung des Beschaffungswesens ist. Dank der DSGVO wurden Abermillionen in der deutschen Corona-Wan-App versenkt, die kaum zu tun in der Lage ist, was sie soll, nämlich Kontakte nachzuverfolgen. Als der Lockdown ausbricht, verbietet der Landedatenschutzbeauftragte in Thüringen den Schulen, den Unterricht über ZOOM stattfinden zu lassen. Schließlich nicht datensicher. Dann lieber keinen Unterricht, klar! Vergaberecht, Brandschutz, Controlling, Fördermittelbescheide, Verwendungsnachweise, Compliancevorschriften, ich könnte ewig weitermachen – ständig entstehen „neue Putzerfische, die in Anzahl und Grüße ihre Wirte langsam unsichtbar machen, 99 zu ein eben.“
Alles natürlich im Namen des Guten und nur zum unserem Besten, das steht nicht zur Diskussion. Gefangen in einer Spezialisten Kultur, die an ihrer eigenen Komplexität erstickt, die Welt längst nicht mehr versteht und nur sich selbst und die eigene Agenda kennt. Sicher haben Sie diese Erfahrung auch schon gemacht, jedes Theater und jedes Museum zeugen davon, dass auch sie längst Teil dieser neobürokratischen Logik und ich gebe zu, dass mein Punkt 1 – Plädoyer für eine starke Kulturpolitik – genau die Gefahr läuft, eben diese Tendenz zu verstärken. Das darf nicht passieren. Wenn alle dem Herbert ständig Vorschriften machen, der aber irgendwann keine Lust mehr hat und die Schaufel schmeißt – wer gräbt dann das Loch? Und wer liefert noch die eigentliche Arbeit, die alle anderen finanziert? Was bedeutet diese Erkenntnis im Zusammenhang mit dem stetig sich verschlimmernden Fachkräftemangel im technischen Bereich? Und wie kann man verhindern, dass wir ständig nur noch über die Sekundärebene sprechen, statt über den Inhalt?
So und jetzt? Wo bleibt das Positive? Ja wo denn?
Wenn Sie mich fragen, ist das auch ein Mindsetproblem, ein KULTURELLES Problem. Wer hat eigentlich noch Lust auf Zukunft? Was ich sehe: Angst und Bedenkenträgertum, Ab- und Ausgrenzung, Sehnsucht nach Eindeutigkeit und Planbarkeit. Zunehmenden Radikalismus und Kompromissunfähigkeit. Wir brauchen das Gegenteil: mehr Utopien, die Suche nach Gemeinsamkeiten in Strukturen, die Vielfalt zulassen und eine Neuentdeckung des Humanismus im 21. Jh. Wir brauchen mehr Freiheitsmündigkeit. Freiheit bedeutet Unsicherheit, mangelnde Planbarkeit und Komplexität. Nicht einfach, aber besser als alle Alternativen. Das müssen wir lernen. Nicht mit dem Methodenkoffer der alten Industriegesellschaft, sondern neu gedacht, entdeckt und konzipiert. Kunst und Kultur brauchen wir dringend dafür. Theater, Museen und Bibliotheken können Orte der Gesellschaft sein, von denen starke Impulse in diese Richtung kommen. Die uns auf diesem Weg gestatten, Mensch sein zu dürfen und lernend zu sein. Und uns mit allen anderen verbinden, mit denen wir unsere Zeit auf diesem Planeten gemeinsam verbringen. Und das ist möglich, wenn man es nur will. Und was ist nun mit der Tradition? Alles von früher also vorbei? In den Worten von George Bernhard Shaw: Tradition ist wie eine Straßenlaterne – dem Klugen leuchtet sie den Weg, der Dumme hält sich an ihr fest.
Vielen Dank!
Bild: „Glück allein dem Glücklichen“ ©Cabaret Dada de Salzbourg. Lizenz: CC BY-SA 2.0