Wimmer’s Comment
Michael Wimmer regularly comments on the latest developments in culture, education and politics in his german commentaries. These are complemented by his own encounters and experiences as a lecturer, author and consultant.
04/06/2023
Das Lueger-Denkmal neigt sich – Und was ist mit Beethoven?
Nach langen Überlegungen ist es also soweit, das umkämpfte Lueger-Denkmal wird -13 Jahre verspätet – nach Plänen des ehemaligen Studenten der Angewandten Klemens Wihlidal um 3.5 Grad geneigt, um so die Ambivalenz des Bürgermeisters mit antisemitischen Neigungen zum architektonischen Ausdruck zu bringen: https://angewandte.at/news_detail?news_id=1685500937250
Jüngst hat mich ein lieber Freund noch einmal drauf aufmerksam gemacht, was Ludwig van Beethoven für eine “Grätzn” gewesen sein muss: Antisemitisch, misogyn, streitsüchtig, egozentrisch, neidig, seinen Neffen missbrauchend, insgesamt wohl ein mehr als widerlicher Zeitgenosse, nichts weniger als ein menschlicher Titan, der halt eine Musik geschrieben hat, die es bis heute lohnt, sich damit auseinander zu setzen.
Erstaunlich eigentlich, dass zum Unterschied von Lueger aber bleibt Beethovens Charakter samt seiner öffentlichen Erscheinung völlig undiskutiert bleibt. Obwohl er weltweit mit seiner Musik insgesamt sicher die größere Wirkung erzielt hat als ein lokaler Politiker “funktioniert” bei ihm die gewaltsame Trennung zwischen Leben und Werk weiterhin völlig unbeeinsprucht.
Mehr, die zum Teil grotesken Anektoten um sein Leben bilden bis heute eine gute Grundlage, sein Werk als idealen Ausdruck bürgerlicher Existenz zu affirmieren. Also wird die Allianz aus Musiker*innen, Managter*innen und Publikum weiterhin alles dran setzen, Leben und Musik Beethovens (und aller anderen Künstler*innen, die den Konzertbetrieb bestimmen) strikt auseinander zu halten. Und wir werden um die Chance gebracht, die Widersprüchlichkeit der eigenen Existenz gerade entlang des unauflöslichen Zusammenhangs seines Lebens UND seines Werkes zu verhandeln.
Die Zeit, z.B. das Beethoven-Denkmal im Wiener Konzerthaus zumindest um 3.5 Grad zu neigen, ist noch nicht gekommen. Die Unauslöschlicheit von Wagners Spruch an der Aussenfassade erzählt statt dessen eindrucksvoll, dass in der Kultur nach wie vor alles anders ist als im Leben.
Zunehmend irrelevant halt.