Wimmer’s Comment
Michael Wimmer regularly comments on the latest developments in culture, education and politics in his german commentaries. These are complemented by his own encounters and experiences as a lecturer, author and consultant.
24/09/2024
Wahlvorbereitung – Chronik der laufenden Engleisungen von Thomas Köck
Nein, sich durch Thomas Köck’s Tagebuch zu den laufenden Ereignissen des letzten Jahres durchzuarbeiten, war nicht einfach ( https://www.suhrkamp.de/…/thomas-koeck-chronik-der… ). Er selbst schreibt ein paar Mal: “Ich kann nicht mehr”. Und auch ich wollte den Text immer wieder weglegen, weil – geht es nach Köck – nichts dafür spricht, angesichts seiner Interpretation der laufenden Ereignisse positive Zukunftsszenarien zu entwickeln.
Und doch ist gerade er es, der einen solchen Generalpessimismus Lügen straft. Intensiv setzt sich Köck mit sozialer Ungleichheit entlang seiner eigenen Herkunft auseinander. Als solcher gibt er zu bedenken, wie überzogen alle vorschnellen Hoffnungen der 1970er Jahre waren, gegen die Macht der Klassengesellschaft ein für alle mal ein umfassendes politisches Integrationsprojekt zu realisieren (zumal sich “Aufstieg” über mehre Generationen erstreckt).
Und doch beweist gerade sein Beispiel, dass gesellschaftliche Emanzipation gelingen kann, nein nicht massenhaft, aber in seinem Fall. Und wohl auch noch in einigen anderen. Und also seine Stimme als Autor gehört wird, auch wenn er sich noch immer schwer tun mag mit seinen Händen in Milieus, die ganz offensichtlich die seinen sind.
Als ein solcher unsicherer Aufsteiger bringt er eine ganz besondere Sensibilität auf für das, was wachsende Differenz mit einer Gesellschaft macht. Und erklärt damit zumindest indirekt das aktuelle Elend einer Sozialdemokratie, deren heutige Repräsentantinnen in ihrer Anbiederung an das Establishment noch lange nicht zu sich gekommen sind.
Ja, die Auswirkungen des Neoliberalismus auf die Politik in Richtung Entdemokratisierung und Rechtsextremisierung sind das große Thema von Köck. Dass es auch wieder in die andere Richtung gehen kann (aktuell Polen, Spanien, GB oder USA), das müssen sich die Leserinnen dazudenken.
Weil die Verantwortung bleibt: Ja, es gilt, genau hinschauen, wie das Köck tut. Aber es gilt auch, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Der Band ist im Zusammenwirken mit dem Schauspielhaus Graz entstanden. Das Haus bietet in den nächsten Tagen Dramatisierungen von Köck’s Text an.