Wimmer’s Comment
Michael Wimmer regularly comments on the latest developments in culture, education and politics in his german commentaries. These are complemented by his own encounters and experiences as a lecturer, author and consultant.
Österreich und die Eiterbeule
Es muss irgendwann in den 1980er Jahren gewesen sein. In einem Gespräch mit dem langjährigen Parlamentarier und Club-Obmann der SPÖ meinte Josef Cap – damals der Held mit den drei Fragen gegen das Establishment- nach den ersten Erfolgsgeschichten der FPÖ, die Eiterbeule sei noch nicht reif, um sie anzustechen.
Jetzt, 40 Jahre danach ist sie reif geworden. Und der Eiter hat sich über ganz Österreich ergossen. Dazwischen lagen die langen Jahre, geprägt vom Hochhalten der Monstranz des kleineren Übels:
In all den Jahren fand sich immer noch eine (partei-)politische Kontellation, die als besser interpretiert werden konnte als vor den jeweiligen Wahlen befürchtet.
Und so ist es ja auch jetzt. Während der Eiter immer weiter in die Arbeits- und Lebensverhältnisse eindringt, wird darüber nachgedacht, ob es nicht doch noch einmal ( und sei es ein allerletztes Mal) die Rechtsextremen von den Hebeln der Macht fernzuhalten.
Und dabei doch zu leugnen, dass deren Gedankengut längst hegemonial geworden ist und unser aller Leben bestimmt (dass der ÖVP als Mitte-Partei weitgehende Nähe zum Programm der FPÖ attestiert wird, spricht dazu Bände).
Es hat 40 Jahre gebraucht, um den schleichenden Niedergang all dessen, was der Bundespräsident jetzt nochmals als Voraussetzung für eine Regierungsbeteiligung beschwört (Rechtsstaat, Menschen- und Minderheitenrechte, Gewaltenteilung, unabhängige Medien, EU-Mitgliedschaft,…) zu bewerkstelligen.
Jetzt scheint das Ende der Fahnenstange erreicht, an dem sich das Ruder – jedenfalls mit dem zuständigen politischen Personal – nicht mehr so leicht herumreissen lassen wird: “Wir sind doch so”, jedenfalls als Wahlgemeinschaft, Herr Bundespräsident. Das gilt es, uns einzugestehen: Österreich ist nach Jahren der Abweichung danbk wirtshaftlich herausragender Performencae wieder zu sich gekommen Jetzt gilt es, Abschied von der Illusion des kleineren Übels zu nehmen. Das Übel selbst hat uns wieder im Griff.
Wir leben spätestens seit gestern wieder in normalen Zeiten. Und dazu gehört auch die Einübung in die Einsicht, dass die demokratische Fortschrittsgeschichte an ihr (zumindest vorläufiges Ende) gekommen ist.
Die Stimmung bei der Abschlusskundgebung am Wiener Stephansplatz hat dafür den gewaltgetränkten Vorgeschmack geliefert.
Wenn Elisas Hirschl heute in der Süddeutschen Zeitung meint, er sei müde geworden, dann es ist ein Beleg dafür, dass die Rechtextremen ihr Ziel erreicht haben: Wir sind angekommen. Josef Cap kann die Nadel wegstecken: https://www.sueddeutsche.de/kultur/oesterreich-wahl-fpoe-wahlsieg-gastbeitrag-elias-hirschl-2024-lux.Mz25iaZUKcty8darXB1F9P?reduced=true