Wimmer’s Comment
Michael Wimmer regularly comments on the latest developments in culture, education and politics in his german commentaries. These are complemented by his own encounters and experiences as a lecturer, author and consultant.
04/10/2024
Kulturpolitik – ein Pyrrhus-Sieg derer, die gern im eigenen Saft braten
Vor wenigen Tagen ist der Kunst- und Kulturbericht des Bundes veröffentlicht worden. Und er liest sich wie eine einzige Erfolgsgeschichte. Andrea Mayer hat mehr Geld für die Szene herausgeschlagen, erste Fair-Pay-Massnahmen wurden realisiert, eine Vertrauensstelle für Betroffene von Gewalt & Belästigung installiert und – sie hat einen neuen erweiterten Platz für das Haus der Geschichte im Wiener MuseumsQuartier gefunden.
Dieses Museum ist vielleicht das beste kulturpolitische Scharnier, um eine Verbindung zum Ausgang der Nationalratswahlen vom 29.9. herzustellen. Selbst definiert es sich als Institution zur Thematisierung “gesellschaftliche und politische Veränderungen seit der Gründung der Republik 1918 und stellt Fragen, die damals wie heute Österreich und Europa bewegen”.
Geht es nach den Wirkungen dieser Einrichtung, dann könnte das Ergebnis nicht vernichtender ausfallen. Immerhin haben junge Menschen in ganz besonderem Ausmaß die FPÖ gewählt ( https://fm4.orf.at/stories/3043867/ ) und damit in ganz besonderem Maße Zweifel genährt, aus den historischen Erfahrungen der Republik demokratieaffine Schlüsse gezogen zu haben.
Aber das ist ja das Spezifikum der Kulturpolitik der letzten Jahre gewesen: Sie hat sich auf eine Klientel-Politik beschränkt, ohne diese noch einmal auf die gesamtgesellschaftliche Verfasstheit zurückzubinden bzw zumindest Anreize dafür zu schaffen. Und so stehen wir heute vor dem Paradox, dass der Kulturbetrieb einerseits so gut alimentiert wird wie nie zuvor, zugleich völlig an gesellschaftspolitischer Wirksamkeit verloren hat.
“Selbstreferenziell”, das ist das Adjektiv, mit dem sich der Kulturbetrieb heute nach all den Jahren, in denen sich die zuständigen Kulturpolitikerinnen standhaft geweigert haben, einen kulturpolitischen Diskurs in Gang zu setzen, am besten beschreiben lässt. Masn könnte auch sagen “Asozial”.
Und so konnte die FPÖ in der Zwischenzeit in der Zwischenzeit eine bestenfalls verächtlich kommentierte und doch höchst wirksame Gegenkultur entwickeln, die vor allem bei jungen Wählerinnen weit besser ankommt als das, was der Kulturbetrieb an Erfolgen für sich einstreifen konnte. Jedenfalls wenn es um Wählerinnen-Stimmen geht.
Vielleicht ist das eine der Gründe, warum sich die Staatssekretärin unmittelbar nach dem Wahlausgang wieder in die beamtete Sicherheit der Präsidentschaftskanzlei zurückgezogen hat.
Matthias Dusini vom Falter ist bislang einer der wenigen, dem das aufgefallen ist: https://www.falter.at/zeitung/20241001/kulturpolitik-nach-der-wahl-ein-nuechterner-befund