Wimmer’s Comment
Michael Wimmer regularly comments on the latest developments in culture, education and politics in his german commentaries. These are complemented by his own encounters and experiences as a lecturer, author and consultant.
Die Freiheit der Kunst — Die Freiheit der Wähler*innen
Österreich bereitet sich auf die nächsten Wahlen vor: Die Wahl zu einem neuen/alten Bundespräsidenten steht an, Landtagswahlen in Tirol und in Niederösterreich, Gemeinde- und Bürgermeisterwahlen im Burgenland.
“Und ich sage, was ich immer wieder sage” (Bruno Kreisky):
Ich halte es für einen unerträglichen Skandal, dass rund 1,4 Millionen(mehr als doppelt so viele wie vor 20 Jahren) in Österreich lebende Menschen von Wahlen ausgeschlossen werden. Und empfinde das als einen Gewaltakt staatlicher Diskriminierung. Und als eine bewusst in Kauf genommene Gefährdung des demokratischen Zusammenhalts.
Wenn beklagt wird, dass sich auch in Österreich die soziale Ungleichheit immer weiter verschärft, dann findet sich in der Verweigerung, rund ein Fünftel der Bevölkerung das politische Geschehen im Land zwar mitverfolgen aber nicht mitbestimmen zu können, seine Ursache. Darüber hinaus schwächt es das Standing Österreichs im Kampf um die liberale Demokratie
Vertreter*innen des Kulturbetriebes zelebrieren gerne seinen Anspruch auf “Freiheit der Kunst”. In dem Zusammenhang wird gerne auf autoritär verfasste Länder gezeigt, die vor Einschränkungen der künstlerischen Freiheit nicht zurückschrecken.
Umso mehr fällt auf, dass gerade diese selbsternannten “Seismographen gesellschaftlicher Entwicklungen” merkwürdig still halten, wenn es um Einschränkungen der Freiheitsrechte eines wachsenden Anteils ihrer Mitbürger*innen im eigenen Land geht (die sie nur zu gerne als potentielles Publikum umwerben).
Der Kulturbetrieb würde rasch an gesellschaftlicher Relevanz gewinnen, könnte er sich zu einer gemeinsamen Kampagne aufraffen, Freiheitsrechte nicht nur für sich selbst einzufordern, sondern sich im selben Atemzug auch für Freiheitsrechte all derer einzusetzen, die heute vom politischen Leben in einem Land des “freien Westens” systematisch ausgeschlossen werden.
Sie würden damit nicht zuletzt dem Begriff “Publikum” wieder seinen ursprünglichen Sinn zurückgeben: Er besteht in der Herstellung einer Öffentlichkeit, die — künstlerisch ebenso wie politisch — dort zu sich findet, wo alle gleichberechtigt Sitz und Stimme haben.