Wimmer’s Comment
Michael Wimmer regularly comments on the latest developments in culture, education and politics in his german commentaries. These are complemented by his own encounters and experiences as a lecturer, author and consultant.
Die Nulllinie von Szczepan Twardoch oder Wie hältst Du es mit dem Krieg?
Einmal mehr erklärt eine “Allianz der Willigen” ihre unbedingte Solidarität mit der Ukraine im Kampf gegen den skrupellosen russischen Aggressor. Und auch im gepflegten Gespräch irgendwo in Mitteleuropa vertiefen sich die Gräben zwischen denen, die sich für eine unbedingte Fortsetzung der Kampfhandlungen aussprechen und denen, die als Putinsche Vasallen gebrandmarkt werden.
Und dann nehme ich Szczepan Twardrochs “Die Nulllinie – Roman aus dem Krieg” zur Hand und all meine Sicherheiten, Krieg zu rechtfertigen schwinden. Der schesische Autor hat sich immer wieder selbst ins Kriegsgebiet begeben und erzählt die Geschichte von Kón, einem intellektuellen Städter, der sich zur Armee meldet und in den Wahnsinn der Front gerät.
Die Lektüre gehört zu den schrecklichsten Leseerfahrungen der letzten Zeit. Kón, der aufgebrochen ist, für das Gute zu kämpfen, erfährt den Zustand der schieren Barbarei, in der alles seinen Wert verliert. Übrig bleiben der schiere Überlebenswille, mal mit den Kameraden, mal gegen sie. In seiner “Sprache des Krieges” gelingt es Twardoch das ganze Inferno der Front nachzuzeichnen, das – sofern sie überleben – das weitere Leben der Beteiligten traumatisch beeinflussen wird. Auch weil die Frage: Wofür kämpfen wir da eigentlich? in immer weitere Ferne rückt, während die permanente Anwesenheit von Tod und Verwundung jede menschliche Regung ins Absurde führen.
Der Roman ist kein Versuch, den Kampf der Ukraine gegen einen übermächtigen Feind zu delegimieren. Aber er ist eine Einladung an die Leser*innen, noch einmal ihr eigenes Verhältnis zu Krieg zu klären, in dem es keine Gewinner sondern nur Verlierer gibt.
Wenn ich also das nächste Mal en passant die Meinung äußere, ich wäre für die Fortsetzung des Krieges in der Ukraine, dann werde ich an die “Nulllinie” denken.
Und mir zumuten, dass ich diesen Satz nur mit Bestimmtheit sagen kann, wenn ich selbst bereit bin, mich dieser Form der Unmenschlichkeit auszusetzen, im Wissen, dass es mich zu einem Werkzeug des Todes macht, das sich selbst zerstört.
https://www.perlentaucher.de/buch/szczepan-twardoch/die-nulllinie.html