Wimmer’s Comment
Michael Wimmer regularly comments on the latest developments in culture, education and politics in his german commentaries. These are complemented by his own encounters and experiences as a lecturer, author and consultant.
Die Zukunft der SPÖ als eine Kulturbewegung: Miteinander – oder garnicht
Während die österreichische Sozialdemokratie gerade Selbstzerfleischung entlang der Eitelkeiten des Führungspersonals betreibt, wird in Italien Elly Schlein mit einem „unverhohlen links-progressiven Programm“ zur neuen Vorsitzenden gewählt. Die, die sie gewählt haben, treten damit den Beweis an, dass die mehr denn je notwendige Verteidigung der materiellen Grundlagen der „Erniedrigten und Beleidigten“ und die Durchsetzung postmaterieller Wertvorstellungen einer städtisch-liberalen Intelligenz keinen Widerpruch darstellen müssen.
Wir erinnern uns: Die Reformpolitik der SPÖ in den 1970er Jahren war gleichermaßen auf materielle UND immaterielle (und damit kulturelle) Umverteilung gerichtet. Ziel war eine Wohlfahrtstaatlichkeit, die sich nicht in der Vermehrung materieller Güter erschöpfen sollte, sondern den Benachteiligten auf dem Weg zur Kulturstaatlichkeit die volle Teilnahme am kulturellen Leben ermöglichen sollte. Auf diesem progressiven Weg waren Künstler*innen und Intellektuelle eingeladen, „ein Stück des Weges mitzugehen“, um den Menschen die Tür zu einem besseren, weil selbst- und miteinander gestalteten Leben aufzustoßen, dass sie nicht auf ihre Funktion als manipulierbare Konsument*innen reduzieren sollte.
Es ist anders gekommen. Auf Integration folgte Segregation. Damit auf die Utopie eines gemeinsamen Werteverständnisses das Auseinanderdriften der Gesellschaft in unzusammenhängende Teile. Und doch bleibt mir das „eigentliche“ Dilemma der SPÖ, dass ihr Führungspersonal in ihrem inhaltlich ausgedünnten Zustand weder in der Lage ist, die „Arbeiterschicht von heute“, die bei aller Heterogenität vor allem aus Frauen, jungen Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund besteht, hinreichend anzusprechen, noch neue Allianzen mit „Kulturschaffenden“ zu bilden, die mit und für die ehemalige Kernwählerschicht die Schaffung von Experimentierräumen auf dem Weg in eine bessere, bei aller Unterschiedlichkeit gemeinsam erstrebenswerte Zukunft ermöglichen würde.
Vielleicht sollte jemand die TeilnehmerInnen am geplanten Sonderparteitag daran erinnern, dass Parteiprogramme der SPÖ schon einmal mit dem Satz begonnen haben: „Die Sozialdemokratie ist eine Kulturbewegung“. Und gemeint war damit nicht, den Arbeiter*innen ein nettes Freizeitprogramm zu bieten. Gemeint war, dass der Kampf um materielle Werte nur erfolgreich sein kann, wenn er Hand in Hand geht mit dem Kampf um kulturelle Werte. Damit aber wird die Fähigkeit des Führungspersonals, die Interessen der Benachteiligten der Gesellschaft mit den kulturellen Ansprüchen einer neuen Mittelschicht zu verbinden, über Gedeih und Verderb der Partei entscheiden. Und nicht ob der oder die an der Spitze steht.
Silja Häusermann schreibt dazu unter dem Titel „Das vermeintliche linke Dilemma“ im heutigen Standard einen erhellenden Kommentar:
https://www.derstandard.at/story/2000144459128/das-vermeintliche-linke-dilemma