Wimmer’s Comment
Michael Wimmer regularly comments on the latest developments in culture, education and politics in his german commentaries. These are complemented by his own encounters and experiences as a lecturer, author and consultant.
Künstler und Menschen – Ein Fall für die Kulturpolitik
In der oft allzudrögen Diktion kulturpolitischer Texte vor allem im deutschsprachigen Raum (Stichwort: Soziokultur) ist es selten, dass einem bei der Lektüre ein Licht aufgeht.
Bei mir ear das zuletzt der Fall bei François Matarassos “A Restless Art” ( https://arestlessart.com/ ). Was dieser Verfechter von “Community Art” anhand einer Vielzahl von Beispielen verhandelt ist nicht mehr und nicht weniger als die Grundlage eines überfälligen Paradigmenwechsels der Kulturpolitik.
Noch nie ist mir so unmittelbar bewußt geworden, wie sehr weite Teile des Kulturbetriebs mit ihrem Bedürfnis, Künstler*innen und ihrem Repräsentationsbedürfnis vom großen Rest der Menschen zu trennen, hinter den Ansprüchen einer demokratischen Gesellschaft hinterherhinken. Und damit eine Kulturpolitik, deren Sicht sich auf die Produktionsbedingungen einer Auswahl von Künstler*innen beschränkt, während sie das Gros der Menschen außer Acht lässt, zu einem Anachronismus im demokratischen Geschehen macht (Und damit den Rechtspopulisten reichlich Munition liefert bei ihrem Vorwurf, selbsternannten Eliten hätten sich in ihren Elfenbeintürmen kommod eingerichtet und kümmerten sich nicht um das Gros der Menschen)
Matarasso erzählt in seiner Analyse von einer langen Tradition, Kunst als ein herausragendes Medium, die Welt zu verhandeln, nicht nur einer kleinen Elite vorzubehalten, sondern als ein demokratisches Grundrecht allen Menschen zuzuschreiben. Und zwar nicht nur in ihrer Eigenschaft als passive Rezipient*innen sondern als genuiner Ausdruck ihres Menschseins und in der Beziehung mit anderen.
Das ist noch immer einer revolutionärer Gedanke. Denn er bedeutet, dass die historische Phase, in der einige wenige Künstler*innen Kunst in erster Linie für sich und in zweiter Linie für Ihresgleichen und erst in dritter Linie für eine Auswahl von Nicht-Künstler*innen gemacht hat, sich dem Ende zuneigt.
Und wir auf der Höhe demokratischer Ansprüche in eine neue Phase eintreten, in der sich Kunst zu einem Gemeinschaft stiftenden Medium weiter entwickelt, an dem alle Menschen gleichermaßen Anteil haben können. Und damit alle eingeladen sind, aktiv mitzuwirken an der ästhetischen Ausgestaltung der Welt, sei es als professionelle Künstler*innen oder sei es als nicht-professionelle Künstler*innen.
Es ist augenscheinlich, dass ein solcher Anspruch Kulturpolitik von oben nach unten kehrt:
Weil sie sich künftig daran orientieren wird müssen, dass sie eine Angelegenheit aller Menschen ist. Und sich nicht auf eine anwaltschaftliche Funktion für ein paar Künstler*innen, die sich gegen alle von ihnen abgewerteten Nicht-Künstler*innen abgrenzen, da zu sein hat.
Beendet wird damit – endlich – ein ungleiches Machtverhältnis, in dem sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ein paar Selbstdarsteller einem Statuts aufgeschwungen haben, um fortan über Kunst einseitig verfügen zu können (inklusive der damit verbundenen, der Gesellschaft aufgezwungene Qualitätsansprüche) während sich alle anderen deren Vorgaben zu beugen hatten bzw. erst garnicht auf die Idee gekommen sind, im Feld der Kunst eine eigenständige, und schon gar nicht aktive Rolle zu spielen.
Mararasso macht deutlich, dass wir damit mit hundertjähriger Verspätung endgültig in eine Sackgasse geraten sind,
Vielleicht sollten all diejenigen, die gerade dabei sind, eine neue kulturpolitische Strategie zu entwerfen, einen Blick in “A Restless Art” werfen.