Wimmer’s Comment
Michael Wimmer regularly comments on the latest developments in culture, education and politics in his german commentaries. These are complemented by his own encounters and experiences as a lecturer, author and consultant.
Warum es gut wäre, Mathematik als zentrales Schulfach abzuschaffen
In einem hörenswerten Podcast geht der deutsche Mathematiker Edmund Weitz der Frage nach, welche Funktion das Fach Mathematik im schulischen Unterricht “eigentlich” hat. Seiner Erfahrung nach geht es dabei um ganz außermathematische Dimensionen wie die Herstellung von Disziplin, den Glauben an Eindeutigkeit und einfache Überprüfbarkeit und darauf beruhende Selektion oder den Erwerb von Durchtauchstrategien. Mit Mathematik als der Geisteswissenschaft schlechthin hätte das Unterrichtsangebot allenfalls am Rande zu tun, meint Weitz und sieht im Befund bestätigt, dass nur die wenigsten Studierenden am Ende ihrer Schullaufbahn über einen souveränen Umgang mit mathematischen Grundkenntnissen verfügen würden.
Also schlägt er vor, sich in der Schule für alle verbindlich auf die Vermittlung rechnerischer Grundkenntnisse zu beschränken und darüber hinaus Mathematik einzureihen in den übrigen Fächerkanon, für den einige Schüler*innen Interesse aufbringen und andere halt nicht, um sich lieber anderen Schwerpunkten zuzuwenden.
Die Konsequenz: Eine Schule ohne das zentrale Angstfach Mathematik sähe anders aus. Schüler*innen würden in ihrem individuellen Lernanspruch aufgewertet, sie müssten Schule weniger erleiden und könnten dafür aber ihren spezifischen Talenten nachgehen.
Für Pädagog*innen der „alten Schule“ freilich brächen schwere Zeiten an, würde ihnen der Prügel Mathematik aus der Hand genommen. Sie müssten beginnen, die Neugierde der jungen Menschen auf die Welt zu motivieren und damit einen interessanten und erfahrungsgeladenen vielfältigen Unterricht zu gestalten. Wäre wohl mit mehr Aufwand verbunden, führte à la longue aber zu mehr Arbeitszufriedenheit.
Und von noch etwas erzählt Edmund Weitz: Davon, dass Mathematiker*innen sich in besonderer Weise für das Schöne interessieren würden. Das wiederum könnte dem Kulturbetrieb und seinem Anspruch auf ein ästhetisches Monopol zu denken geben….